: Christus kam nur bis in den ersten Stock
Der Ökumenische Kirchentag ist längst zu Ende gegangen – die Schau „Warum! Bilder diesseits und jenseits des Menschen“ hinterlässt er noch in Berlin. In ihr geht es um die Spuren christlicher Ikonografie in der Kunst – von „Ecce homo“-Schmerzensmännern bis hin zu Madonnen, die in Schönheit sterben
von STEFANIE TASCH
Bevor man auch nur irgendetwas von der Ausstellung gesehen hat, mokiert man sich schon. Dieses deklamatorische Ausrufezeichen hinter dem Warum insistierend originell. Und wo ließe sich wohl räumlich oder gar geografisch ein Bild diesseits oder jenseits des Menschen einsortieren? Davor? Dahinter? Im Diesseits? Im Jenseits? Und was hätten die Bilder da verloren?
Beginnt man den Aufstieg in den ersten Stock des Martin-Gropius-Baus, findet man sich dann in der Position des Pilgers wieder, der, von unten aufsehend, mit einer himmlischen Erscheinung konfrontiert wird: Wandfüllend sieht man da einen blinden Mann auf einer Rolltreppe der Londoner U-Bahn, der, scheinbar unbeachtet von Passanten, deklamierend auf den Besucher zuschwebt. Mark Wallingers „Angel“ deklamiert die ersten Verse des Johannes-Evangeliums, und für die Kuratoren der Ausstellung, Matthias Flügge und Friedrich Meschede, ist sein Verkündigungsengel eine der zentralen Arbeiten.
Oben angekommen, kann man sich neben Wallingers lebensgroße Christusfigur stellen, einem veristischen Abbild aus weißem Marmorstaub und Kunstharz, auf dem Kopf ein Kranz aus Stacheldraht. Wenn man neben ihm steht, stellt man fest, dass er keinen Sockel hat. Und die Augen geschlossen sind. Und die Hände auf dem Rücken gefesselt. „Cur Deus homo – Warum Gott Mensch geworden“ – diese Frage nach der Menschwerdung Gottes stellte sich 1098 erstmals der Theologe Anselm von Canterbury.
Es geht also nicht um die Institution Kirche in der Ausstellung, die der Erste Ökumenische Kirchentag in Berlin hinterließ. Stattdessen soll es etwa um die Spuren christlicher Ikonographie in einer Kunst gehen, die sich von jeder Einvernahme durch kirchliche Auftraggeber seit langem gründlich freigeschwommen hat (Kirchenkunst des späten 20. Jahrhunderts lassen die Kuratoren barmherzig beiseite). Also wird am Beispiel der ehemals sakralen Bildform Triptychon gezeigt, wie man vor 20 Jahren den Vorstellungen einer New Yorker Kirchengemeinde nicht gerecht wurde und wie man heutzutage mit Sicherheit keine Aufnahme in einem Berliner Altarraum fände: Willem de Koonings späte, schwebende Farbbänder in Rot, Gelb und Blau auf weißem Grund waren 1984 seinen Auftraggebern in St. Peters zu abstrakt.
De Kooning scheint die Ablehnung so beschäftigt zu haben, dass er eine zweite Version malte. Die großen Flügelaltäre teilen sich einen Raum mit Thomas Struths Fotografien sakraler Kunst im Museum. Sakraler Kunst? Nicht ganz. Ein wunderbarer Lapsus ist eingebaut in Gestalt von Albrecht Dürers Selbstporträt aus der Alten Pinakothek in München. Frontal zum Betrachter gewandt, sieht der Maler wie ein nachgeborener Christus auf seinen Betrachter (der bei Struth auch gleich mit im Bild ist). In der Ausstellung geht sein Blick zum nächsten Raum, wo ihm Jonathan Meeses ähnlich vermessenes Selbstporträt (der das geborgte Christus-Haupt in Richtung heroischen Rebellentums verwandelt) antwortet. Und sein monumentales, für diese Ausstellung entstandenes Triptychon, auf dessen Flügeln sich die Meese’sche Mythografie austobt, Abarbeitung christlicher Ikonografie betontermaßen jenseits der Moral.
Es geht aber auch anders: Wer sich vor allem ästhetisch delektieren will, verbringt seine Zeit in dem Raum mit Gerhard Richters dreiteiliger malerischer Paraphrase auf eines der schönsten Andachtsbilder Venedigs: Tizians „Verkündigung“ von 1540. Eine Hommage an die Architektur wiederum ist Hiroshi Sugimotos Serie von Sakralbauten von Tadao Ando bis Corbusier. Der Reiz der Ausstellung besteht in dieser Vielfalt und den Bezügen zwischen den Kunstwerken, da ihre konzeptuelle Offenheit, dem Religiösen und/oder dem Menschenbild in den unterschiedlichsten Formen nachspüren zu wollen, sie an manchen Stellen wie eine opulente und schön gehängte Bilderschau an der Grenze zur Beliebigkeit aussehen lässt.
Apropos Madonnen: Das Frauenbild ist, warum nur, diesseits wie jenseits des Menschen eher tragisch angelegt. Aktualisiert wird in den ausgestellten Arbeiten vor allem die Figur der Märtyrerin, die der Kunstgeschichte unendliche Reihen hinreißender, aber leider toter oder auf dem besten Wege dahin befindlicher Frauenfiguren geliefert hat. Ob Maria Magdalena oder die vielen anderen Heiligen der katholischen Kirche, es wurde in Schönheit gelitten und in Schmerzen gestorben. Bei Kiki Smith reicht es bedauerlicherweise nur zum pathetischen Kitsch. Dennis Adams macht Ulrike Meinhof und Patti Hearst zu modernen Märtyrerinnen, nur Maria Lassnig hat einen fulminanten Raum für sich allein.
Ansonsten ist der Mensch wie üblich männlich. Und tritt wieder und wieder als Schmerzensmann auf: Ecce homo, „Sehet, welch ein Mensch“, so fängt es mit Wallinger an und kulminiert in der Gruppe der „Floß der Medusa“-Bilder von Martin Kippenberger, dessen 1992 entstandene Selbstbildnisse außerordentlich ergreifend sind. In ihnen zeigt er Körperfragmente vor wie Reliquien eines Rituals, das zum Tode führt. Von ähnlicher Privatheit, nur viel stiller ist ein Schmerzensmann von 1949. Der später als Kunsthistoriker so berühmte Max Imdahl malte ihn als 25-Jähriger. Von romanischer Schlichtheit und Strenge, auf eine Holztafel gemalt, ist das schmale Hochformat das einzige wirkliche Andachtsbild der Ausstellung.
Martin-Gropius-Bau Berlin, bis 3. August, tgl. außer Di., 10–20 Uhr