: Unbedingter Wille zum Selbstbewusstsein
Es sind bewegte Tage für den deutschen Film. Das zeigte auch die Verleihung des diesjährigen Filmpreises – bei der „Good Bye, Lenin!“ triumphierte
„Tun Sie so, als ob Sie freiwillig hier wären“, ruft der Moderator Jörg Pilawa am Freitagabend dem Publikum im Berliner Tempodrom zu. „Gehen Sie mit! Klatschen Sie an der richtigen Stelle!“ Wochen im Voraus war klar, was es bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises zu beklatschen galt: den Triumph von „Good Bye, Lenin!“, Wolfgang Beckers Tragikomödie über den Niedergang und die anschließende Wiederauferstehung der DDR. Nicht weniger als neun Lolas erhielt der Film.
In der Tat hat die Grundidee von „Good Bye, Lenin!“ viel Charme. Es ist ein Glücksfall für die Komödie, wenn sie davon handelt, wie der eine den anderen etwas vorspielt und sich dabei in der eigenen Inszenierung verfängt. Damit lässt sich die Alleingeltung der Wirklichkeit suspendieren; dem sich daraus ergebenden Spiel der Möglichkeiten beizuwohnen ist einer der besten Gründe, ins Kino zu gehen.
Umso bedauerlicher ist es, wenn „Good Bye, Lenin!“ seine schwierigen Facetten, etwa die Krankheit zum Tode der Frau Kerner und die unausgesprochene ödipale Zwangslage ihres Sohnes, im Ungefähren belässt. Die Komödie mit der Tragödie zu vereinen ist keine leichte Übung, und natürlich ist Wolfgang Becker kein Billy Wilder. Doch das gerät am Freitagabend im Tempodrom in Vergessenheit. Zu groß ist der Publikumserfolg, zu groß der Willen zum neuen Selbstbewusstsein im deutschen Film. Und plötzlich wird „Good Bye, Lenin!“ selbst zum Monolith, der die anderen, heißen sie nun „Klassenfahrt“, „Der alte Affe Angst“, „Väter“ oder „Lichter“, zur Seite schiebt (bis auf Letzteren waren diese Filme nicht einmal nominiert; für „Lichter“ gab es eine silberne Lola).
Man spürte im Tempodrom: Es sind bewegte Tage für den Film. Die Novelle des Filmfördergesetzes ist seit kurzem verabschiedet. Dass sie dringend der Nachbesserungen bedarf, damit sie Filme nicht als Wirtschafts-, sondern als Kulturgüter fördert, darüber redete man nicht auf offener Bühne. Dort freute sich stattdessen Kulturstaatsministerin Christina Weiss: „Wir haben den größten Feind des deutschen Films besiegt: Resignation und Pessimismus.“ Für den recht gelangweilt in seinem Sessel sitzenden Produzenten Bernd Eichinger und dessen Mitstreiter nimmt derweil die Idee einer Filmakademie Gestalt an, die an der Ausrichtung des Filmpreises Interesse hat. Was aus dem Hause der Kulturstaatsministerin zu diesem Thema bislang an die Öffentlichkeit drang, steckt voller Widersprüche. Wenn ohnehin der Film reüssiert, der das liebste Kind der Branche ist, scheint kaum von Belang, ob eine vom Staatsministerium eingesetzte Jury oder eine Branchenvollversammlung über die Preisvergabe befindet.
Als Frage an den Abend bleibt, inwieweit den Veranstaltern und der Branche daran liegt, sich am Film nicht deswegen zu freuen, weil er Deutschland und der deutschen Filmbranche zu dem so oft beschworenen „Stolz“ und „Selbstbewusstsein“ verhilft, sondern weil er ästhetisch herausfordert. Es war Ulrich Gregor, dem langjährigen Leiter des Berlinale-Forums, vorbehalten, eine cineastische Perspektive einzunehmen. Nachdem er den Ehrenpreis entgegengenommen hatte, sprach er sich dezidiert für filmische Vielfalt aus, für die Notwendigkeit des Experiments und der Formen, die nicht marktgängig sind. Er schloss mit einem Zitat Pier Paolo Pasolinis: „Die wahre Antidemokratie ist die Massenkultur: Ein Autor ist aber demokratisch, wenn er sich weigert, für die Massenkultur zu arbeiten, und wenn er sich ‚absondert‘, indem er für Menschen aus Fleisch und Blut arbeitet.“
Man muss sich Pasolinis Diktum nicht zu Eigen machen. Darüber nachzudenken indes hat noch niemandem geschadet.
CRISTINA NORD