Lieber in Würde arbeiten als in Ehren hungern

Bei ihrem 2. Welttreffen fordern Kinderarbeiter, Erwerbstätigkeit von Minderjährigen als notwendig anzuerkennen

BERLIN taz ■ „Kein Arbeiter kann für seine Rechte alleine kämpfen. Deshalb sollten wir alle gemeinsam überlegen, wie wir gegen Ausbeutung vorgehen können“, sagte Anuj Chowdhuri aus Indien gestern bei der Eröffnung des zweiten Welttreffens arbeitender Kinder in Berlin.

Und auch der 14-jährige Arbeiter Edwin José Perez aus Guatemala fasste zusammen: „Einheit macht stark.“ Genau das war zu spüren, als sich gestern die Delegationen aus Asien, Afrika und Lateinamerika unter viel Applaus gegenseitig vorstellten. Fast ohne sichtbares Lampenfieber ergriff jeder von ihnen das Mikrofon.

„Wir sind nicht das Problem, sondern Teil der Lösung“, lautet das Motto des Kongresses, bei dem etwa 32 Delegierte aus über 22 Ländern zwei Wochen lang diskutieren wollen, wie sie ihre Arbeitsbedingungen weltweit verbessern können. Dabei geht es ihnen nicht nur um einen Erfahrungsaustausch, sondern auch um eine Auseinandersetzung mit Vertretern von UNO, Regierungen, Gewerkschaften und Fairen Handelsorganisationen. Nicht dabei sein kann der Delegierte aus Pakistan; das Auswärtige Amt bezweifelte einfach sein politisches Engagement und hat ihm das Visum verweigert.

„Sie machen mit Ihrem Kongress klar, dass Sie nicht Objekte von Maßnahmen sein wollen, sondern Ihr Schicksal als Subjekte selbst in die Hand nehmen“, sagte Lothar Krappmann vom UN-Ausschuss für Kinderrechte in seiner Begrüßungsrede. Tatsächlich schreibe die UN-Kinderrechtskonvention von 1989 auch das Recht ganz junger Menschen fest, für sich selbst zu sprechen. Andererseits verbietet eine internationale Vereinbarung der ILO grundsätzlich die Arbeit von Kindern – wogegen sich die Bewegung arbeitender Kinder massiv wehrt. „Sie haben ernste Forderungen, und die UN-Kinderrechtskommission hat Ihre Position zur Kenntnis zu nehmen“, sagte Krappmann. Er versprach, während des Kongresses öfters aufzutauchen und sehr gut zuzuhören.

Etwa 70 Prozent der weltweit 350 Millionen arbeitenden Kinder und Jugendlichen schuften in der Landwirtschaft. Nach Berlin gekommen sind überwiegend Stadtkinder, weil die Organisationen dort stärker vertreten. Zum Beispiel der 14-jährige Edwin José Perez aus Guatemala, der seit seinem elften Lebensjahr als Assistent eines Elektrikers arbeitet. „Mein Vater hatte seinen Job in der Verwaltung verloren, und da wollte ich mithelfen, Geld für die Familie zu verdienen“, begründet er seinen damaligen Entschluss. Fünf Stunden am Tag klettert er auf Leitern und hält Kabel, am Nachmittag geht er zur Schule.

Nachdem Perez schon vorher in verschiedenen Kindergruppen aktiv war, ist er seit eineinhalb Jahren Mitglied von Monatsgua, einer Organisation von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen. Einmal im Monat treffen sich die Delegierten aus dem ganzen Land, darunter etwa 15 Kinder. Warum sie ihn ausgewählt haben, um sie in Berlin zu vertreten? „Ich glaube, ich kann ganz gut reden“, sagt der schmächtige Junge und lacht. Also sagte er seinem Chef Bescheid, dass er einen Monat lang ausfällt. Perez’ Ziel in Berlin: Er möchte seinen Teil dazu beitragen, ein weltweites Kommunikationsnetz arbeitender Kinder aufzubauen.

Der Weltkongress war auf einem Delegiertentreffen in Mailand im Dezember 2002 beschlossen worden. Damals hatten sich die Bewegungen arbeitender Kinder aus verschiedenen Kontinenten zusammengeschlossen. Diese versteht sich als Teil der globalisierungskritischen Bewegung und will für „eine gerechte, humane und würdige Welt kämpfen“.

ANNETTE JENSEN