Lotsen noch nicht in Sicht

Krankenkassen uneins darüber, ab wann der Hausarzt Kranke lotsen darf. Gesundheitsökonomen uneins darüber, wie schlecht das Gesundheitssystem ist

BERLIN taz ■ Wenn die einen auf Tempo setzen, behaupten die anderen eben, sie setzten auf Qualität und Wirtschaftlichkeit. Wenn die AOK bundesweit „Hausarztmodelle“ anbietet, dann „müssen die qualitativ stimmen, und sie müssen sich rechnen“, erklärte der AOK-Chef Hans Jürgen Ahrens gestern. Dazu brauche es jedoch Zeit. Die Krankenkassen, die noch in diesem Jahr großflächig mit Hausarztmodellen starten wollten, hätten diese wohl „nicht bis in letzte Verästelungen geplant“.

Ahrens bezog sich auf die Ankündigung der Barmer Ersatzkasse vom Wochenende, der andere Kassen eilends gefolgt waren: Sie alle hätten ein Hausarztmodell sozusagen fertig. Das Modell, das von der Gesundheitsreform vorgeschrieben wird, funktioniert so: Versicherten, die sich einschreiben, wird die Praxisgebühr erlassen. Dafür müssen sie immer erst den Hausarzt ansteuern. Wenn nötig, überweist der sie an einen Facharzt. Die Hausärzte müssen dafür bestimmten Qualitätsanforderungen genügen.

„Ein PR-Gag“, schnaubte auch Christopher Hermann, Vize-Chef der AOK Baden-Württemberg. „Das schafft die Barmer dieses Jahr nie – oder die werfen massenweise Geld zum Fenster raus.“ Hermanns Landes-AOK hat seit Dezember 2003 als erste Kasse einen Hausarztmodell-Versuch laufen. Ausgesuchte 100 Hausärzte und 11 Kinderärzte in und um Mannheim betreuen gegenwärtig 3.000 Versicherte. Wöchentlich kommen 100 bis 200 hinzu, 10.000 Teilnehmer sind die Obergrenze.

1,3 Millionen Euro bekommen die ausgewählten Ärzte zusätzlich von der AOK. Dafür müssen sie es schaffen, dass ihre Patienten – in der Mehrzahl Senioren – weniger häufig ins Krankenhaus müssen und weniger Medikamentenkosten verursachen als eine Vergleichsgruppe im Raum Karlsruhe. „Um das sauber auszuwerten, brauchen wir mindestens bis nächstes Frühjahr“, sagte Hermann zur taz.

Während die Krankenkassen darüber stritten, in welchem Tempo der Qualitätsteil der Gesundheitsreform umzusetzen ist, warf der CDU-nahe Gesundheitssystemforscher Fritz Beske gestern dieses Reformkapitel ganz über den Haufen. „Mich ärgert, dass unser Gesundheitswesen schlecht geredet wird“, sagte Beske bei der Vorstellung seiner Studie „Das Gesundheitswesen in Deutschland im internationalen Vergleich“.

Das Gesundheitswesen liefere gute Qualität für einen guten Preis und keine „Über-, Unter- und Fehlversorgung“, erklärte Beske. Die Behauptung, dass die Deutschen in der Gesundheit „einen Mercedes bezahlen und bloß einen Volkswagen bekommen“, sei zurückzuweisen. Zum Beispiel gebe es in Deutschland keine Wartelisten. Im Mittelpunkt von Beskes Kritik jedoch stand ein „unhaltbares“ Ranking der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahr 2000. Die WHO hatte Deutschland auf den Platz 25 hinter Portugal oder Kolumbien verbannt.

Nun ist die These, dass Deutschland über-, unter- und fehlversorgt ist, tatsächlich Grundlage der rot-grünen Reformbemühungen um mehr Effizienz. Doch „mit dem WHO-Ranking hat diese Diagnose überhaupt nichts zu tun“, erklärte deren prominentester Vertreter, der Gesundheitsökonom Karl Lauterbach, gestern der taz. Nicht das in der Tat zweifelhafte WHO-Ranking, sondern die Daten der wissenschaftlichen Fachgesellschaften seien Grundlage der Mercedes-Volkswagen-These. Ob bei Herzkrankheiten oder Krebs – „Deutschland liegt bestenfalls im Mittelfeld.“

ULRIKE WINKELMANN