: Lebenserfahrung am Sterbebett
Die Arbeit von Hospizen zielt vor allem auf Schmerztherapie, lindernde Pflege und Zuwendung. Über Sterbebegleitung und Angehörigenbetreuung in ausgewählten Kölner Palliativeinrichtungen.
Von MARIKA DRESSELHAUS
„Hospize bilden den Rahmen dafür, dass sich der Sterbende und seine Angehörigen auf das Wesentliche, nämlich auf die zwischenmenschliche Beziehungsebene konzentrieren können!“ So beschreibt Andreas M. (*), was eine gute Palliativmedizin ausmacht (palliativ = schmerzlindernd). Vor einem halben Jahr hat der 29-jährige seine Mutter verloren. Sie starb mit gerade mal 55 Jahren an Krebs. Zwischen dem Tag der Diagnose und ihrem für Vater und Sohn bis heute unfassbaren Tod lagen ganze zwei Monate. Bis dahin sei die Hausfrau sportlich aktiv, glücklich und ausgeglichen gewesen. Aber von heute auf morgen musste die Familie ihre unheilbare Krankheit und den bevorstehenden Tod akzeptieren.
„Wenn die Ärzte nichts mehr tun können, ist das die klassische Situation, in der Hospizarbeit und Palliativmedizin ansetzen“, erklärt Ingeborg Jonen-Teichmann, Leiterin der an die Uniklinik Köln angegliederten Station für palliative Therapie im Dr. Mildred-Scheel-Haus. Sie hat sie mit dem damaligen Chirurgen Heinz Pichlmaier vor 21 Jahren als bundesweit erste dieser Art aufgebaut. „Unsere Aufgabe ist, die noch verbleibende Lebenszeit von Todkranken so schmerzfrei wie möglich zu gestalten. Wir versuchen die Angehörigen seelisch so zu unterstützen, dass für alle die bestmögliche Lebensqualität erreicht wird.“
Ein Kranken – ein Pfleger
Alle 15 Betten sind belegt mit Krebskranken im Alter zwischen 40 und 80 Jahren. Der bisher jüngste Patient hatte eine besonders aggressive Form von Blutkrebs und war erst 17 Jahre alt. Doch solche Fälle kommen laut Jonen-Teichmann eher selten vor. Das Dr. Mildred-Scheel-Haus nimmt Patienten auf, deren aktuelle Leidenssituation vor allem eine medizinisch orientierte Verbesserung ihres Zustands erfordert. Auf jeden Kranken kommt eine speziell ausgebildete Pflegekraft. Etwa die Hälfte der jährlich 220 Patienten stirbt beim ersten Aufenthalt, 20 bis 30 Prozent werden wieder entlassen – in ein Hospiz oder nach Hause.
Dann wird Irmgard Henseler-Plum vom Sozialdienst aktiv. „Ich bin die Schnittstelle nach draußen.“ Sie organisiert die an die individuellen Bedürfnisse jedes Einzelnen angepasste Unterbringung und Versorgung, arbeitet dabei mit einem mobilen Team aus festem Pflegepersonal und ehrenamtlichen Helfern zusammen.
„Schon beim Bau wurde darauf geachtet, dass durch jedes der Einzelzimmer mit Glaserker und Tür zum grünen Innenhof mindestens einmal am Tag die Sonne scheint“, erklärt Henseler-Plum. Die Einzelzimmer sind modern, komfortabel und hell. Doch täuschen die Details nicht über das insgesamt eher steril anmutende Ambiente hinweg. Nur in den beiden Wohnzimmern schaffen Aquarium und Bücherwand etwas häusliche Atmosphäre.
Das ist im Hospiz St. Vinzenz in Nippes anders. Die Einrichtung ist zwar im selben Gebäude wie das St. Vinzenz-Krankenhaus untergebracht, arbeitet jedoch völlig unabhängig. Es nimmt vor allem Menschen auf, für die das Sterben zu Hause oft aus psychosozialen Gründen nicht in Frage kommt. 15 feste Mitarbeiter kümmern sich um die neun Bewohner. Während die Patienten der klinischen Palliativstation über die Menülisten des Krankenhauses ihre Essenswünsche äußern können, steht hier das Personal selbst am Herd. Vom „Strammen Max“ über Apfelpfannkuchen bis hin zur Milchsuppe zaubert es jedem Bewohner sein Lieblingsgericht.
An diesem Tag kocht die Schwester einer Mitarbeiterin. Sie bereitet den von einer Bewohnerin spendierten Puter zu, der zu Weihnachten liegen bleiben musste, weil der schlechter werdender Gesundheitszustand ihre stationäre Aufnahme erforderlich gemacht hatte. Als alles fertig ist, herrscht im Gemeinschaftsraum fröhliche, fast ausgelassene Stimmung. Vier Bewohner, ein Angehöriger und drei Mitarbeiter sitzen um den großen Tisch und schwatzen durcheinander.
In die gemütlichen Zimmer können die Bewohner Persönliches wie Bilder, Vasen oder – wie im Falle einer 70-jährigen – das eigene Silberbesteck mitbringen. „Man krempelt hier niemanden um. Aber wir beobachten, wie Menschen, die mit schweren Depressionen zu uns kommen, regelrecht aufblühen“, beschreibt Krankenschwester Martina Mann (43), wie sich der Seelenzustand oft auf die körperliche Verfassung auswirkt.
Gerade die Beziehung zwischen dem Sterbenden und seinen Angehörigen ist von der Unausweichlichkeit seines bevorstehenden Todes belastet. „Obwohl der Bewohner selbst wie auch die Familienmitglieder genau wissen, dass er wohl bald sterben wird, will jeder den anderen vor der schmerzlichen Wahrheit schützen. Wir vermitteln dann, denn unsere Erfahrung zeigt, dass Menschen, die offen mit dem Thema umgehen, ihre Angst vor dem Tod oft verlieren, gelassener werden.“
Zum Sterben nach Hause
So empfand das auch Andreas M. „Erst als wir loslassen konnten, konnte sich auch meine Mutter befreien und das letzte Stück ihres Weges alleine gehen.“ Sie hatte Glück, konnte zum Sterben aus der Palliativklinik nach Hause entlassen werden. Vater und Sohn hatten das Wohnzimmer umfunktioniert, hatten gelernt, Infusionen und Schmerzmittel zu geben sowie ihren nach einer Not-OP gelegten künstlichen Darmausgang zu versorgen. Die meisten Sterbenden wünschen nichts sehnlicher, als ihre letzten Tage in vertrauter Umgebung zu verbringen.
Genau das streben die Hospize an. Deshalb arbeiten alle auch ambulant. Mareike Walter ist seit 10 Jahren als Altenpflegerin beim von der evangelischen Kirche getragenen Diakoniezentrum Köln-Nippes beschäftigt. Die 44-Jährige legt Katheder, versorgt Magensonden, organisiert Haushaltshilfen, Mahlzeitendienste oder 24-Stunden-Überwachungen, sorgt für Friseur- und Fußpflegebesuche oder fungiert als Kontaktperson zum Hausarzt. Sie betont ihre psychosoziale Verantwortung für die Angehörigen – vor allem nach dem Tod des Patienten.
Andreas M. etwa findet noch immer nicht die passenden Worte für den seelischen Schmerz, den er seit dem plötzlichen Tod seiner Mutter empfindet. Als sein Vater, der die ganze Nacht an ihrem Sterbebett gesessen und ihre Hand gehalten hatte, am Morgen zu ihm kam, um ihm zu sagen, dass sie nun nie wieder aufwachen werde, habe er nur gefragt: „Warum?“ Eine Schlüsselfrage, auf die es gewiß keine Antwort gibt. Aber Hospize helfen Angehörigen dabei, diese Lebenserfahrung zu meistern.
*: Name geändert