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Archiv-Artikel

Freikarten für die Unsichtbaren

Die Refugee Ticket Hotline vermittelt Flüchtlingen kostenlose Karten für Veranstaltungen in Theatern, Kinos und Clubs. Neben Kultur bekommen die Ausgegrenzten Berührungspunkte mit der Gesellschaft

VON EKUA ODOI

„Dienstleistung an Unerwünschten“ hieß eine Veranstaltung, die Ende 2002 in der Volksbühne stattfand. Unerwünschte, das sind Menschen, die aufgrund ihrer sozialen Stellung am Rande der Gesellschaft stehen und im Extremfall Anfeindungen ausgesetzt sind. Dazu gehören auch Flüchtlinge. Sie führen oft ein Schattendasein in der Gesellschaft des Aufnahmelandes: Ohne Arbeitserlaubnis, mit geringen finanziellen Mitteln und eingeschränkten Rechten warten sie in Heimen darauf, ein Bleiberecht zu erhalten. Das kann lange dauern. Manchmal Jahre. Die Angst vor der Abschiebung ist dabei allgegenwärtig.

Am Abend der Veranstaltung entschloss sich deshalb eine kleine Gruppe Kulturschaffender, für die Flüchtlinge in Berlin etwas zu tun. „Das Minimalste zu tun“, wie sich Hannah Hurzig, Dramaturgin und Kuratorin am Hebbel Theater, ausdrückt. Gemeinsam mit Dorothee Wenner und Merle Krüger, unterstützt von freiwilligen Helfern und Praktikanten, startete sie die Refugee Ticket Hotline Berlin (RTH).

Die Initiative sammelt jeden Monat Karten für Theater, Konzerte, Kinos etc. und verteilt sie an Flüchtlingseinrichtungen. „Wir stellen eine Dienstleistung in einem Bereich bereit, in dem wir selbst arbeiten“, erklärt die Dramaturgin Hurzig. Große Überzeugungsarbeit mussten die Gründerinnen bei den Kulturinstituten demnach nicht leisten – man kannte sich.

Zu den Institutionen, die seit bald zwei Jahren jeden Monat Tickets für Flüchtlinge locker machen, gehören unter anderem das Cinemaxx am Potsdamer Platz, die Volksbühne, das Hebbel Theater am Ufer, das WMF/Café Moskau, das SO 36, das Grips Theater und viele andere. Rund 100 Tickets kommen mittlerweile jeden Monat zusammen – im März waren es sogar 222.

Dabei achten die RTH-Organisatoren darauf, dass sie nicht Karten für Stücke angedreht bekommen, die schlecht laufen, und die Veranstalter mit den Flüchtlingen nur ihren Saal füllen wollen. Das kommt jedoch selten vor, denn die meisten Einrichtungen nehmen die Ticketspende ernst. So konnten auch schon Gratiskarten für Publikumsmagneten wie die Eiskunstshow „Holiday on Ice“ verteilt werden.

Zwar nennt sich die Aktion Ticket Hotline, über eine Telefonnummer läuft die Kartenvergabe dennoch nicht. Hurzig und Co. legen in zehn Flüchtlingsorganisationen und -heimen regelmäßig rot-weiße Flyer aus, die in sieben Sprachen über das Angebot informieren. Die Karten holen die RTH-Macher bei den Kultureinrichtungen ab und übergeben sie persönlich in zehn Berliner Flüchtlings-Betreuungszentren.

Die Resonanz der Flüchtlinge war am Anfang verhalten. „Die meisten dachten, das sei eine einmalige Aktion“, erinnert sich Hurzig. Doch jetzt nehmen manche Refugees die Angebote regelmäßig wahr. Die Sprachbarriere stellt zwar hin und wieder ein Problem dar, das die Flüchtlinge jedoch gerne in Kauf nehmen, um ihrem tristen Alltag zu entfliehen: „Für viele ist es wichtig, überhaupt mal etwas zu sehen und einfach rauszukommen,“ stellen die Hotliner immer wieder fest.

Bisher können jedoch nur Organisationen in Berlin das kostenlose Kulturangebot nutzen. „Wir würden die Refugee Ticket Hotline gerne auf Brandenburg ausweiten, aber wir haben momentan noch keine finanziellen Mittel, um Fahrkarten zu bezahlen“, bedauert Hurzig.

Dafür soll die Hotline einen Ableger in Hamburg erhalten. Matthias von Hartz, Regisseur am Schauspielhaus Hamburg und Initiator der Aktion „go create resistance“, die sich mit den Folgen der neoliberalen Globalisierung auseinander setzt, will noch dieses Jahr in der Hansestadt das Berliner Vorbild kopieren.

Aber was nutzen freie Kinokarten, wenn das Leben von Festnahmen, Abschiebungen, Traumata, Behördengängen, Angst und Gewalt bestimmt wird? Nichts, und das ist auch den Veranstaltern der Refugee Ticket Hotline klar: „Wir sind keine politische Initiative, sondern bieten nur eine kleine soziale Geste an, die uns maximal drei Tage Arbeit im Monat kostet. Natürlich gibt es tausend wichtigere Dinge, die Flüchtlinge benötigen, als Freikarten für Theater. Unsere Aktion will aber auch Kulturinstitutionen poröser machen und ihnen die Augen für die Existenz von Flüchtlingen öffnen.“