: Mitgestalter der sozialen Skulptur
Die Zukunft der Arbeit (Teil 5): Eigentlich, so scheint es, wird es Arbeit nur noch für Künstler geben. Zumindest die Einstellungschancen für arbeitslose Kulturwissenschaftler werden inzwischen immer besser, und Manager bedienen sich immer häufiger künstlerischer Diskurse. Motto: No money, just fun
Gibt es eine Zukunft der Arbeit? Muss es überhaupt eine Zukunft der Arbeit geben? Und was bedeutet Arbeit eigentlich? Die nächsten Folgen unserer Serie zum Thema handeln von Klassenunterschieden innerhalb der Boheme und von der Entdeckung der Langsamkeit im Arbeitsamt
von GUILLAUME PAOLI
Es war eine der modernsten Förderanlagen Europas. Sie wurde Anfang der Neunzigerjahre im Bergwerk Göttelborn (Saarland) dank EG-Subventionen gebaut. Und doch wurde aus dem kilometertiefen Schacht nie ein Stück Kohle geholt. Kaum war der bombastische Förderturm feierlich eingeweiht worden, kam der Beschluss, das Werk endgültig stillzulegen. Übrig blieben eine 500 Millionen Mark schwere Investitionsruine sowie 2.500 entlassene Bergleute. Prompt ernannte die Landesregierung eine Ad-hoc-Kommission (immerhin eine Einstellungschance für arbeitslose Kulturwissenschaftler), um die wirtschaftliche Peinlichkeit zumindest rhetorisch positiv umzugestalten. So wurde die High-Tech-Brache als „Zukunftsstandort“ und „Ikone des Kommunikationszeitalters“ verklärt. „Interdisziplinär“ sollte „das einzigartige Industriedesign neu interpretiert“ werden, die New Ecomomy würde ganz gewiss für Arbeitsplätze sorgen, außerdem sollten dort „alle Künste“, die im dunklen Industriezeitalter zersplittert worden waren, „zusammengeführt werden“. Ein glänzendes Vorhaben, das sich als so kurzlebig erweisen sollte wie das ursprüngliche Industrieprogramm. Kein Start-up-Unternehmen hat sich in Göttelborn niedergelassen. Kurz nach der Bergwerkschließung platzte auch die Blase der IT-Branche. Und trotz der „verkehrstechnisch optimal gelegenen“ Position der Brache ließen interdisziplinäre Künstler auf sich warten. Schließlich konkurrieren in Europa dutzende von ähnlichen, unfruchtbaren Mastodonen um eine künstliche Wiederbelebung.
Symbolisch gesehen war also der Ort für eine Podiumsdiskussion über die Frage: „Wie sieht die Arbeit von morgen aus?“ optimal. Dorthin wurde ich Ende Mai eingeladen, im Rahmen des von Stephan Stroux aufwendig inszenierten Industrietheater-Projekts „Union der festen Hand“. Unterstützt wurde das Rahmenprogramm von der Bundeszentrale für Politische Bildung, einem der wenigen noch zahlungsfähigen Unternehmen der Veranstaltungsindustrie. Bloß, anscheinend wurde nicht allzu viel Wert auf lokale Nachfrage gelegt. Nur eine Hand voll Zuschauer fand ihren Weg zu der Riesenhalle – darunter selbstverständlich kein einziger Exbergarbeiter. Stell dir vor, es wird über die Zukunft der Arbeit diskutiert und keiner geht hin! So wurde ein durchaus passendes Gefühl der Leere und der Irrealität erzeugt, das auf den Diskussionsverlauf angenehm einwirkte.
Teilnehmer des Abends war auch Armin Chodzinski, der als studierte Künstler in die Wirtschaft ging, nicht um Karriere zu machen, sondern „um zu forschen, um künstlerisch zu handeln“. Schließlich werden in Unternehmen vor allem „Lebensmodelle“ erzeugt. Manager bedienen sich immer häufiger des künstlerischen Diskurses, so etwa Götz Werner, Geschäftsführer von dm-Drogerie Markt, der seinen Mitarbeiter die Chance bieten will, „Mitgestalter der sozialen Skulptur“ zu werden. Chodzinski nahm diese Managementliteratur beim Wort und sah seine Vermutung völlig bestätigt: Binnen Monaten wurde er in die Geschäftsleitung eines großen Handelskonzerns katapultiert! Dann kündigte er und veröffentlichte seine Forschungsergebnisse (bei Revisionsverlag Hamburg erhältlich). Fazit: In der Zukunft wird es Arbeit nur noch für Künstler geben. Die kategorischen Imperative der neoliberalen Wirtschaft seien eben idealtypische Merkmale des Künstlers: Kreativität, Kommunikation, soziale Kompetenz, Projektplanung und -vermittlung und vor allem die grenzenlose Bereitschaft, sich selbst auszubeuten. Ökonomisierung hieße zugleich Kulturalisierung, und dies sei ein „Horrorszenario“, denn: „Diese Kategorien zeichnen sich dadurch aus, dass sie eben gerade nicht solidarisch funktionieren.“
Dass Künstler, die nicht ins Management gehen, auch als Avantgarde fungieren können, nämlich als Arbeitslose, zeigte seinerseits der Tänzer Jochen Roller. Um seine Choreografien finanzieren zu können, musste er kleine Jobs wie das Eintüten von Werbung im Kauf nehmen. Nun hat er diese Dichotomie sinngemäß überwunden und tütet die Werbezettel gleich auf der Tanzbühne ein. Später erzählte der „tanzende Verkäufer“, dass er kürzlich zu einem Performancefestival eingeladen wurde, dessen fehlende Subventionierung positiv uminterpretiert wurde, indem man ihm den Titel verlieh: „No money, just fun“. Da fiel mir eine Sachbearbeiterin des Arbeitsamtes ein, die neulich meinte: „Wissen Sie, Sie können ihr Leben doch gestalten wie Sie wollen, vorausgesetzt, Sie bekommen kein Geld von uns.“
No money ist ein leichtes Programm, aber wie wird fun hervorgebracht? Auf dem Rückweg nach Berlin bekam ich eine erste Antwort. Der Zug war mit lächelnden Pilgern bepackt, die an der ersten Christ-Parade teilnehmen wollten, darunter wahrscheinlich entlassene Bergarbeiter und erfolgreiche Managementkünstler, Allzweckpraktikantinnen und bedrohte Rentner. Nun aber waren sie in eine frömmelnde Masse vereint, die nur das Schöne und Nette im Leben wahrnahm. Plötzlich wurde mir klar, dass die Zukunft der Arbeit von der Zukunft der Religion abhängt. Nicht von der Unternehmenskultur, dieser armseligen Ersatzreligion, und auch nicht von der Spaßgesellschaft, die nur gewisse Szenen zu verkitten vermag. Es bleibt so, wie es immer war: Einzig die Religion ist Ecstasy fürs Volk.
Zum gleichen Zeitpunkt wurde auch beim SPD-Sonderparteitag über die Zukunft der Arbeit diskutiert. Nicht über die Zukunft der Sozialschwäche, sondern die der Regierungsarbeit. Da stellte sich Schröder wie der durchschnittliche Arbeitnehmer dar, der unter Mobbing und Konkurrenzdruck leidet und einen dreckigen Job erledigen muss, weil es momentan keinen besseres gibt. „Wenn ich es nicht tue, werden es andere tun“ – in diesem Satz sind 140 Jahre sozialdemokratischer Moralphilosophie enthalten. Welcher Angestellte könnte nicht zustimmen, dass die Erhaltung der eigenen Stelle vor allen übrigen Überlegungen kommt? Da stand ein Mann auf der Bühne, der um seinen Arbeitsplatz bangte, und die gutmütigen Delegierten fühlten sich nicht berechtigt, ihn zu entlassen. Die Solidargemeinschaft war gerettet.