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Archiv-Artikel

New Kids on the Block

Bei der Abgeordnetenhauswahl 2001 prägte noch die Generation 50 plus das politische Berlin. Doch die alten Herren haben sich nicht gehalten. Am Ruder sind jetzt die Jungs über 30. Der Boygroup fehlen nicht nur Falten, sondern auch echte Konturen

Müller, Zimmer, Liebich, Lindner und Ratzmann sind wie die Jungs von nebenan

VON STEFAN ALBERTI

Rückblick. Herbst 2001. Es ist Wahlkampf. Neben dem späteren Sieger Klaus Wowereit prägen ihn vier Männer. Peter Strieder, der als SPD-Chef die große Koalition platzen ließ. Gregor Gysi, der für die PDS die Charmeoffensive fährt. Wolfgang Wieland, der eloquente grüne Justizsenator mit dem zerfurchten Gesicht. Günter Rexrodt, der als „Mister Wirtschaft“ die Ein-Mann-Show für die FDP gibt. Alle um die 50 und älter. Nur die CDU hat ohne ihren langjährigen Frontmann Landowsky bloß Frank Steffel (35) zu bieten, von dem keiner wirklich wusste, wofür er außer Wahlkampfpannen stand.

April 2004. Bei der Union sitzt in Raum 334 im Abgeordnetenhaus ab halb zehn die Morgenrunde zusammen. Fraktionschef Nicolas Zimmer (33), seine parlamentarischen Geschäftsführer, Pressesprecher und Referenten, fast alle unter 40, und das teils deutlich. „Die Boygroup tagt“, heißt es aus der CDU-Fraktion dazu. Boygroups, das waren Take That, die Backstreet Boys oder die New Kids on the Block, das waren Jungmusiker, die in den 90er-Jahren statt der Alten, statt Brian Adams, U2, Police oder Bruce Springsteen oben in den Hitparaden standen.

Was auf die CDU gemünzt ist, gilt für die komplette Berliner Politik: Eine Boygroupisierung, die in diesen Tagen ihren Höhepunkt erreicht. Denn was haben Gysi, Strieder, Rexrodt und Wieland gemeinsam? Sie sind schon weg aus der Landespolitik oder wollen es bald sein.

Berlins Politbetrieb zwischen Abgeordnetenhaus und Senat kann sie, mehr Genießer als Techniker der Macht, offenbar nicht auf Dauer halten, ist für sie zu klein. Gysi, vormals der große PDS-Zampano im Bundestag, war die landespolitische Bühne schlicht zu klein. Er warf die Brocken als Wirtschaftssenator schon im Sommer 2002 hin. Strieder sagten viele lange vor seinem Rücktritt wegen der Tempodrom-Affäre Amtsmüdigkeit nach. Der Mann wusste: Er würde nicht über seinen Job als Senator hinauskommen. In Berlin blockierte Wowereit den Posten des Regierenden Bürgermeisters, den er gern gehabt hätte. Auf Bundesebene wollte ihn die SPD 2001 noch nicht mal als Beisitzer im Vorstand haben.

Ex-Bundeswirtschaftsminister Rexrodt, der nach der Wahl 2001 erst gar nicht länger als ein paar Monate Fraktionschef sein mochte, verabschiedet sich am Wochenende auch als FDP-Landeschef. „Ich bin Bundespolitiker“, sagt er zur Begründung. Es klingt wie: Ich will meine Kraft nicht in der Kreisklasse verschwenden. Und Wolfgang Wieland lässt sich am Samstag zum Spitzenkandidaten der brandenburgischen Grünen wählen. Er tourt lieber durch die märkische Pampa, als sich noch zwei Jahre im Abgeordnetenhaus anzutun.

„Rat der Alten“ oder lateinisch „Senat“ nannte sich das Parlament der römischen Republik, weil man sich von der Erfahrung der Senioren weise Führung versprach. Die Spitze der Berliner Parteien und Fraktionen ist der Gegenentwurf dazu, fast eine reine U-44-Auswahl. Michael Müller, der neben dem SPD-Fraktions- nun auch den Parteivorsitz übernehmen soll, ist erst 39 Jahre alt. PDS-Mann Stefan Liebich, der diese Personalunion vorgemacht hat, ist 31. Bei der FDP löst der weitgehend unbekannte 43-jährige Bundestagsabgeordnete Markus Löning den Exminister Rexrodt als Parteichef ab, die Fraktion führt der gerade 40 gewordene Martin Lindner.

Auch bei den Grünen, weiter die Einzigen mit Frauen an der Spitze, sind die Vorsitzenden von Fraktion und Partei – Sibyll Klotz, Volker Ratzmann, Almuth Tharan und Till Heyer-Stuffer – zwischen 40 und 44. Klotz ist als Einzige unter allen Chefs länger als drei Jahre auf ihrem Posten. Die Altersgrenze von 44 sprengt allein Joachim Zeller als Landesvorsitzender der Christdemokraten. Selbst diese Ausnahme hätte es fast nicht gegeben: Nur knapp setzte sich Zeller bei der CDU-Vorstandswahl vor einem Jahr gegen den damals 43-jährigen Peter Kurth durch.

Nicht, dass Alter kluge Politik garantiert. Der römische Senat schaufelte sich und der Republik selbst das Grab, als er Julius Cäsar mehr und mehr Macht gab. Doch die Ü-50-Riege hatte nicht nur Alter, sondern auch Ausstrahlung. Müller, Zimmer, Liebich, Lindner und Ratzmann hingegen sind wie die Jungs von nebenan, mal nett, mal weniger nett. Wie eine Boygroup eben, bei der nur Fans die Gesichter auseinander halten können.

Das führt zu Spott. „Der Klassensprecher von der CDU“, sagt der Grüne Wieland schon mal über Zimmer, der noch jünger als seine 33 Jahre wirkt. Der Grüne, bis Anfang 2003 Fraktionschef, will sich zuletzt in der Runde seiner Kollegen wie ein Elder Statesman gefühlt haben.

Bezeichnend etwa, dass das Markenzeichen von FDP-Fraktionschef Lindner nicht etwa eine tiefe Denkerfalte, sondern stets zurückgegelte Haare sind. Beim SPD-Spitzenmann Müller ist „unauffällig“ das meistgehörte Attribut. Das mag ihm Unrecht tun, vor allem, weil gleich dahinter „arbeitsam“ folgt. Gut möglich, dass so einer nur unter Feuer, in der ersten Reihe, echte Konturen bekommt. Dazu hat Müller nach Strieders Abgang die Möglichkeit. Messlatte ist nichts Geringeres als das Ergebnis der nächsten Abgeordnetenhauswahl 2006. Sein Job ist ein bisschen abstrus: Profil gewinnen und zugleich – als Jüngerer – Seriösität und Bodenständigkeit neben dem Lebemann-Image von Wowereit (50) auszustrahlen.

CDU-Mann Zimmer hat es da leichter. Er profitiert davon, neben sich den als solide geltenden Parteichef Zeller zu haben, auf den derzeit alles als Spitzenkandidaten für 2006 hinweist. Die Union kann dann mit einer Kombination aus Jugendlichkeit und Erfahrung werben.

Boygroups haben naturgemäß ein Verfallsdatum. Das gilt auch für die Berliner Polit-Variante. Wenn die Youngster es nicht richten bis zur nächsten Wahl, wird der Trend sich wenden, wird der Ruf nach Älteren laut werden. Up or out, ganz nach oben oder weg vom Fenster. Das ist Risiko und große Chance zugleich: Take That ist heute längst Vergangenheit, Robbie Williams aber, einer ihrer Sänger, als Solist bekannter als je zuvor.