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Archiv-Artikel

Sterbehilfe für Kuschs Strafvollzug

Die Zeiten eines Justizsenators Roger Kusch sind ein für alle Mal vorbei. Unter dem grünen Senator Till Steffen wird nun das Hamburger Strafvollzugsgesetz grundlegend reformiert. Damit kehrt Hamburg in die bundesdeutsche Normalität zurück

Es war ein langes Feilschen zwischen den Koalitionspartnern – doch Anfang Januar wird das Ergebnis sichtbar werden. Wenn am Dienstag kommender Woche der Hamburger Senat die Entwürfe des neuen Strafvollzugsgesetzes und des Jugendstrafvollzugsgesetzes präsentiert und den Fachverbänden zur Stellungnahme zuleitet, endet in Hamburg eine Periode, in der mit Ex-Justizsenator Roger Kusch und seinem Nachfolger Carsten Lüdemann (CDU) zwei Hardliner das Justiz- und Gefängniswesen grundlegend umkrempelten. Härtere Strafen, strengere Haftbedingungen, weniger Resozialisation lauteten die Prämissen von Kusch und Lüdemann. Unter ihrem Nachfolger, Hamburgs grünem Senator Till Steffen aber übt Hamburg nun die Umkehr – eine Rückkehr in die bundesdeutsche Normalität – Sterbehilfe für den restriktiven und geschlossenen Strafvollzug der Ära Kusch lautet die Devise.

Das neue Strafvollzugsgesetz samt dem parallel erarbeiteten Jugendstrafvollzugsgesetz soll ein Gesetzeswerk aus der Feder Lüdemanns ablösen. Dieses wurde erst vor einem Jahr, im Dezember 2007 und damit im Winter der CDU-Alleinregierung verabschiedet, und selbst von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) als „verfassungsmäßig grenzwertig“ und einseitig auf den reinen „Verwahrvollzug“ ausgerichtet kritisiert.

Die wichtigsten Paradigmenwechsel stehen gleich in den ersten Absätzen der Reformwerke: War bislang der „Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten“ als erste Aufgabe des Vollzugs festgeschrieben, rückt nun das Ziel, „die Gefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen“ an die erste Stelle. Dass eine vernünftige Resozialisierung auch der beste Schutz der Bevölkerung vor alten neuen Straftätern ist, gilt Steffen als oberste Prämisse der Gesetze.

War bislang der geschlossene Vollzug als Regel, der offene Vollzug als Ausnahme festgeschrieben, stehen nun beide Vollzugsarten im Gesetzestext gleichberechtigt nebeneinander. Erwachsenen- und Jugendstrafvollzug, bislang im Strafvollzugsgesetz miteinander verschmolzen, erhalten zukünftig wieder eigenständige Gesetze. „Damit kehren wir in den bundesdeutschen Mainstream zurück“, preist der justizpolitische Sprecher der GAL-Fraktion, Farid Müller, „den neuen Geist“ der Regelwerke an.

Dass die Formulierungen nicht bloße Symbolik bleiben, sondern auch in der Praxis mit Leben gefüllt werden, daran arbeiten Steffen und seine Mitarbeiter hinter den Kulissen fieberhaft. So soll der von Kusch eingeweihte Mammutknast Billwerder, der zur Zeit über 800 Haftplätze im geschlossenen Vollzug bereit hält, umgebaut und in zwei Bereiche, getrennt nach offenem und geschlossenem Vollzug, aufgegliedert werden. Mit dem Moritz-Liepmann-Haus in Hamburg-Altona dürfte eine der drei von Kusch geschlossenen sozialtherapeutischen Haftanstalten, die Häftlinge gezielt auf das Leben in Freiheit vorbereiten, wieder eröffnet werden. Zudem wird in der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel ein separater, räumlich abgetrennter sozialtherapeutischer Bereich mit eigenen Werkstätten, eigenem Eingang und eigener Führung entstehen. Die Leitungsstelle dafür ist bereits ausgeschrieben.

„Mühselig“, seien die Debatten über die neuen Gesetze gewesen, gibt ein Grüner preis, der an den Verhandlungen mit der Union beteiligt war. Gerade in der CDU-Basis habe es „massive Widerstände“ gegen jede Formulierung gegeben, die den Resozialisierungsgedanken in den Vordergrund stellt und einen liberalen Gestus versprüht. Jahrelang war die Justizpolitik in Hamburg ideologisch überfrachtet, wurden Opfer- und Täterschutz in den Debatten demagogisch gegeneinander gestellt. Nun ist Steffen angetreten, die Debatte zu „entideologisieren“.

Doch trotz vieler Formulierungskompromisse zwischen CDU und GAL bieten die Gesetze dabei auch Innovatives. So ist im Entwurf des Jugendstrafvollzugsgesetz erstmals ein einklagbares Recht auf „Aus- und Weiterbildung und auf Arbeit“ festgeschrieben, dass die Wiedereingliederung fördern soll. Ein Recht, dass es bislang nur im Jugendstrafvollzug Baden-Württembergs gibt.

So verwundert es nicht, dass selbst die oppositionelle SPD die neuen Entwürfe lobt und nur die Linkspartei pflichtgemäß beklagt, die Liberalisierung gehe nicht weit genug. MARCO CARINI