: Was ist die Alternative zum Dialog?
Milli Görüs wehrt sich: Ausgerechnet die vom Bremer Verfassungsschutz ins Zwielicht gerückte Bremer Fatih-Moschee gibt ein Beispiel aufgeklärter, liberaler Gesinnung. In einer Streitschrift erläutert die Glaubensgemeinschaft, das die Vorwürfe des VS-Berichtes integrationsfeindlich wirken können
taz ■ Man kann seine Geduld nur bewundern: Abdulkerim Sari, der Sprecher der Islamischen Gemeinschaft „Milli Görüs“, wird seit Jahren vom Bremer Verfassungsschutz (VS) beobachtet, staatliche Instanzen rücken seine Aktivitäten in der Gemeinde und im Verein immer wieder ins Zwielicht.
Aber Sari reagiert nicht verbittert, er tut nicht das, was der Verfassungsschutz von ihm erwartet. Stattdessen führt er in der Auseinandersetzung mit dem Verfassungsschutz der Bremer Öffentlichkeit immer wieder vor, was aufgeklärter Dialog und liberale demokratische Gesinnung wäre. Nachzulesen in seiner jüngsten Erwiderung auf den Bremer Verfassungsschutzbericht 2002.
Milli Görüs verhalte sich „in seinen Grundzügen integrationsfeindlich“, steht dort. Zur Begründung wird auf die Jugendarbeit der Fatih-Moschee verwiesen. Ob der Vorwurf trägt, ist zumindest höchst fraglich. Nicht nur, dass sich der Verfassungsschutz hier um Themen kümmert, die allenfalls die Sozialbehörde angehen sollten. Ausgerechnet Milli Görüs und die ihr zugehörige Fatih-Moschee haben zudem in Bremen die christlichen Gemeinden in einer Intensität zum Dialog eingeladen, die sich manche Kirche zum Vorbild nehmen könnte.
Den Vorwurf des „integrationsfeindlichen“ Verhaltens begründet der Verfassungsschutz damit, dass in den Freizeit- und Weiterbildungsangeboten der Gemeinde die Kinder und Jugendlichen vom „Einfluss der westlichen Gesellschaft – der Ungläubigen, der Gottlosen, der Unmoral – fern gehalten“ werden sollen. Die im VS-Bericht aufgeführten Schlüsselworte „Ungläubige“, „Gottlose“ und „Unmoral“ , sagt hingegen Sari, „stammen nicht von uns“. Die vorgeblichen Milli Görüs-Zitate sind also offensichtlich lügenhaft. Sie folgen wohl der Unsitte, Authentizität zu suggerieren, wo der Autor in Wahrheit nur seine Unsicherheit oder Unkenntnis kaschieren will.
Offensichtlich weiß der Verfassungsschutz so wenig Konkretes über die Jugendarbeit in der Fatih-Moschee, dass er sich zu pauschalen Verdächtigungen flüchten muss. Und streng genommen müsste die Jugendarbeit jeder christlichen Gemeinde vom Verfassungsschutz beobachtet werden, erst recht die der Zeugen Jehovas, wenn Kriterien wie „ das fern Halten vom Einfluss der westlichen Gesellschaft“ ernst genommen werden sollen. Klar, sagt Sari, von Alkohol und Drogen sollen die Jugendlichen fern gehalten werden. Dabei arbeite die muslimische Gemeinde mit der örtlichen Polizeistation zusammen. Wo ist das Problem?
Die muslimischen Jugendlichen, schreibt Sari in seiner Auseinandersetzung mit den Verfassungsschutz-Argumenten, „wachsen in ambivalenten kulturellen und sozialen Lebenswelten auf“. Die muslimische Gemeinde wolle ihnen „helfen“, damit leben zu lernen. Das bedeutet, sich unter „Beibehaltung ihrer islamischen Identität in die hiesige Gesellschaft zu integrieren.“
Sari hat sich immer wieder intensiv mit dem Thema „Islam und Demokratie“ auseinandergesetzt – öffentlich auch nachzulesen unter www.islam-bremen.de. Das ist im Grunde Pionierarbeit, denn in der muslimischen Welt gibt es nur wenige Demokratien. Und: Für eine muslimische Identität in einem demokratischen Gemeinwesen gibt es keine einfachen Vorbilder.
Der Verfassungsschutz und alle Politiker, die sich auf seine offensichtlich zweifelhafte Wahrnehmung beziehen, erschweren diese schwierige Integrationsarbeit noch – daran lässt Sari keinen Zweifel. Denn jede islamische Gemeinde hat einen Generationenkonflikt in einer Intensität, von dem deutsche Gemeinden nur alpträumen könnte.
Im Jahre 2001 wurde in diversen Verfassungsschutzberichten und auch im Bremer „Extremismusbericht“ behauptet, Milli Görüs fordere seine Mitglieder auf, die deutsche Staatsangehörigkeit zu beantragen, um irgendwann eine „islamische Partei auf deutschem Boden“ gründen zu können. Im Bericht 2002 heißt es dann, Milli Görüs fordere zur Beantragung der deutschen Staatsangehörigkeit auf, um „Einfluss auf die bestehenden Parteien und deren Politik“ zu nehmen.
Wie kommt diese Änderung des Vorwurfes zustande? Der Verfassungsschutz hat es offenbar nicht nötig, seine Urteile nachvollziehbar zu begründen. Das Beispiel zeigt, wie beliebig die Argumentationsmuster der Behörden sind.
Und: Wenn Milli Görüs wirklich seine Anhänger auffordern würde, in deutsche politische Parteien einzutreten –was wäre das anderes als die erfolgreiche Integration? Welche Verfassung schützt eigentlich dieser Verfassungsschutz, wenn er diesen Vorgang für bedenklich hält? Gehört zur „Integration“ am Ende, ein christliches Lippenbekenntnis zu übernehmen? „Immer stärker bekommt man den Eindruck, als habe der Verfassungsschutz ein gestörtes Verhältnis zur Religion der Muslime“, schreibt Sari.
Schon im Jahre 1997 hat Milli Görüs den Bremer Innensenator in einem Brief zu einem Gespräch einladen –eine offene Begegnung sei „sehr hilfreich und notwendig, um den Weg der Integration unserer Mitglieder in die deutsche Gesellschaft zu fördern“. Die gegenseite hielt es damals nicht einmal für nötig zu antworten. Sari ignorierte die Unhöflichkeit und erneuerte seine Einladung im Jahre 2001. Wieder keine Antwort. Stattdessen halbseidene Vorwürfe im Verfassungsschutzbericht. Sari lässt sich dennoch nicht entmutigen in dem Bemühen um einen offenen Dialog. „Was ist die Alternative zum Dialog?“ fragt der Verein Fatih-Moschee. Und: „Gibt es überhaupt eine?“
Klaus Wolschner