in fußballland
: CHRISTOPH BIERMANN über ein Buch ohne Fußball

Kein Pfeifen auf dem Rasen

Ältere Leser werden sich daran erinnern, dass der bekannte Erotomane, Autor und Besitzer von Hitlers Tagebüchern, Stefan Effenberg, früher einmal Fußballspieler gewesen ist und dieser Beschäftigung demnächst in der Wüste nachgehen wird. Den jungen Menschen sei gesagt, dass Effenberg sogar ein sehr guter Kicker war, über den mir ein Bundesligaprofi – leider kann ich mich nicht mehr erinnern, wer es gewesen ist – einst erzählt hat, dass er während des Spiels auf dem Rasen pfeifen würde. So wie man Hunde herbeipfeift, ein Stöckchen zu apportieren, hatte Effenberg seinen Mannschaftskameraden beim FC Bayern das Signal gegeben, ihm den Ball zuzuspielen, auf dass er ihn dann von seinem Feldherrenhügel im Mittelfeld an die richtige Position im Spiel weiterbeförderte.

Diese kleine Information hat mich lange Zeit vage fasziniert und war jedenfalls Grund genug, Effenbergs Autobiografie zu lesen. Denn das Leben eines Fußballspielers dreht sich nun einmal um Fußball, und so müsste dort eigentlich etwas über das Pfeifen im Mittelfeld zu finden sein. Dachte ich mir jedenfalls und machte mich auf den Weg. Wie steinig er sein würde, war mir nach der Arbeit der Exekutionskommandos im Feuilleton klar, aber ich suchte ja nur „Stellen“. Oder „Anti-Stellen“, denn gemeinhin geht es bei „Stellen“ in Büchern um Sex oder fragwürdige Ansichten zu Politik und Leben. In „Ich hab’s allen gezeigt“ von Stefan Effenberg, das nur um fragwürdige Ansichten zu Politik und Leben sowie um Sex geht, sind „Stellen“ hingegen die, in denen es um Fußball geht.

Wobei es zu all dem Fußball beinahe nicht gekommen wäre, weil der junge Effenberg einst von einem Grabstein fast erschlagen worden wäre, auf dem er Rodeo geritten hatte. Er zog sich aber nur einen Oberschenkelhalsbruch zu, so dass die Karriereoptionen Musiker („Von morgens früh bis spät abends klimperte ich auf meiner Kindergitarre herum“) oder Dienstleistungsfachkraft bei der Deutschen Post („Ohne Fußball wäre ich dann wahrscheinlich Paketzusteller geworden – im Außendienst!“) außer Acht gelassen werden konnten. So bereitete Effenberg sich auf sein Leben als Fußballspieler schon mit 13 Jahren durch Ausdauerläufe vor („Ich rannte wie ein Irrer durch den Wald“); seine erste Autogrammkarte im Trikot des FC Bayern hatte er sich da auch schon zusammengebastelt.

Aber halt: Das sind hübsche Anekdoten aber noch keine richtigen „Stellen“ – und der Pfiff ist ebenfalls unerklärt. Das Problem ist jedoch, dass sich Effenberg damit schwer tut, über Fußball im engeren Sinne zu schreiben, also als Tätigkeit und Geschehen auf dem Rasen. Lieber sortiert er seine kleine Welt in Gut und Böse. Trainer Erich Ribbeck ist gut („Er erklärte mir immer wieder, wie wichtig ich für die Mannschaft sei.“); Trainer Ranieri in Florenz ist es nicht („Ich mochte ihn nicht, er mochte mich nicht. Zumindest nicht richtig.“); Ottmar Hitzfeld ist ganz toll und sagt zu Effenberg: „Du könntest garantiert ein guter Trainer werden, wenn du willst.“

Das wird jedoch wohl eine leere Drohung bleiben, denn Effenberg interessiert sich nicht wirklich für Fußball. Jedenfalls sind seine Analysen so messerscharf wie eine Salatgurke. „Okay, dachte ich, dann schaukeln wir das Ding über die Zeit“, erzählt er vom Finale der Champions League 1999 gegen Manchester United und findet es am Ende „total unverdient“, dass der Gegner den FC Bayern in der Schlussminute noch von der Schaukel schubst. Dafür gelingt zwei Jahre später die Revanche. „Bei einem Freistoß sagte ich zu Linke: Geh nach vorne, Richtung zweiter Pfosten. Ich spiele dir den Ball auf den Kopf. Genauso lief es. Ich spielte auf Linke, er legte mit dem Kopf quer zu Sergio auf: 1:0.“

Da sieht man, dass Fußball ein einfaches Spiel ist. Verdächtig einfach. Was man am Ende von 135 Zeitungszeilen nun für eine ziemlich bescheidene Erkenntnis halten mag. Aber bitte schön, kein Mitleid von meiner Seite, ich habe dafür 318 Seiten lesen müssen. Und was es mit dieser Pfeiferei auf sich hat? Keine Ahnung.

Fotohinweis: Christoph Biermann, 42, liebt Fußball und schreibt, im Gegensatz zu Stefan Effenberg, darüber