: Ein Paradies für Abenteurer und Fledermäuse
taz-Serie „Polen in einem Tag“ (Teil 7): In den Bunkeranlagen des ehemaligen „Ostwalls“ kann man ein Stück Nazigeschichte besichtigen. Mittlerweile gehört das Tunnelsystem auch zu den offiziellen polnischen Reisezielen
Die Bewunderung steht ihm ins Gesicht geschrieben: „80 Kilometer Tunnelanlagen, teilweise in 40 Meter Tiefe, bester Stahl, der ist heute noch intakt, selbst eine unterirdische Eisenbahn ist hier gefahren.“
Der Offizier der polnischen Armee, der an diesem Tag den Reiseführer macht, ist sichtbar stolz auf die „deutsche Wertarbeit“. Was tut es da schon zur Sache, dass der „Ostwall“ mit seinen Bunkeranlagen von den Nazis gebaut wurde? Meisterwerk ist schließlich Meisterwerk.
Vielleicht würde eine kritischere Haltung zwischen Międzyrzecz und Świebodzin aber auch nur das Geschäft stören. Schließlich gehört der „Ostwall“, neben der Maginot-Linie das größte Bollwerk Europas, zu den touristischen Highlights auf der polnischen Seite des Grenzgebiets.
Wer Abenteuertouren sucht, ist hier genau richtig. Mehrere Tage lang kann eine unterirdische Tour dauern, vorausgesetzt man geht auf eigene Faust, das heißt illegal, und hat genügend Akkus für die Taschenlampen dabei. Aber auch für die Vorsichtigeren ist gesorgt. Führungen in die Bunkeranlagen gibt es auch auf Deutsch, wenngleich die mit zwei Stunden ungleich kürzer sind.
Ist man erst mal unten, dann ist es weniger die Ingenieursleistung, die beeindruckt und beklemmt, sondern die kühle Berechnung, mit der sich die Nazis kurz nach der Machtübernahme an ihre Kriegspläne machten. Nicht der Überfall auf Polen stand 1934 auf Hitlers Prioritätenliste, sondern ein Angriff auf Frankreich. Um sich für diesen Fall den Rücken freizuhalten und einen Zweifrontenkrieg zu vermeiden, ging man daran, im Osten des Reiches den „Oder-Warthe-Bogen“, wie der „Ostwall“ offiziell hieß, zu bauen.
Vier Jahre lang waren die Organisation Todt, der Reichsarbeitsdienst und Mitarbeiter ziviler Baufirmen damit beschäftigt, Unterkunftsbunker, Sanitätseinrichtungen, Munitionslager, Kraftwerke, Lüftungssysteme, Panzerwerke und eine unterirdische Bahnversorgung mit zwölf Bahnhöfen in den Boden zu stampfen. Selbst eine Leichenverbrennungsanlage gab es. Ziel der Festung war es, mehrere Monate lang autark das Reich verteidigen zu können.
Dass es dann doch nicht so kam, lag an den veränderten Kriegsplänen der Nationalsozialisten. Als 1938 der Angriff auf Frankreich verschoben und der Überfall auf Polen geplant wurde, wurden die Arbeiten am Ostwall eingestellt, erzählt der polnische Offizier und tauscht seine Akkus aus. „Und als 1945 die Rote Armee näher rückte, saßen allenfalls noch ein paar Volkssturmleute in den Bunkern.“ Nicht der „Ostwall“, sondern die Oder wurde zur letzten umkämpften Frontlinie vor dem Kampf um Berlin.
Wie so viele Bauwerke aus der NS-Zeit böte eigentlich auch der „Ostwall“ alle Voraussetzungen dafür, zum Wallfahrtsort von Neonazis und Militaristen zu werden. „Doch das ist nicht so“, sagt der polnische Offizier. „Natürlich kommen manchmal ein paar komische Gestalten vorbei, aber die sind ganz friedlich. Ist ja auch ganz schön kalt hier unten“, lacht er. Außerdem, sagt der Offizier, kommen hier nicht nur Bunkerfreunde und Militärhistoriker auf ihre Kosten, sondern auch Naturliebhaber. Die Bunkeranlagen sind nämlich auch Europas größtes Fledermausreservat.
Mittlerweile hat der „Ostwall“ auch die Berliner Veranstalter erreicht. So steht das Tunnelsystem in Polen mittlerweile auch beim „Verein Berliner Unterwelten“ auf der Liste der unterirdischen Sehenswürdigkeiten. Und auch das polnische Fremdenverkehrsamt in Berlin hat den „Ostwall“ inzwischen als offizielles Reiseziel geadelt.
Doch der Hauch von Abenteuer ist gelieben. Nachdem im vergangenen Jahr das kleine Museum samt Touristikzentrum und Tunneleinstieg in Pniewo geschlossen wurde, führt der Weg nun über Feldwege zu einem provisorischen Einstieg bei Boroszyn. Wem das alles dann doch zu beschwerlich ist, der kann sich über Tage am See von Łagów oder im Strandbad von Lubrza erholen. UWE RADA
Den Eingang zum „Ostwall“ in Boroszyn erreicht man mit dem Auto über die E 30 in Richtung Świebodzin. In Mostki links abbiegen, über Lubrza nach Boroszyn fahren und dabei dem Hinweisschild „MRU“ (Międzyrzecki Rejon Umocniony) folgen. Öffnungszeiten siehe www.mru.pl. Führungen gibt es samstags und sonntags um 11 und 14 Uhr.Nächste Woche: Das Seebad Misdroy