Afghanische Wahlen ohne Parteien

Präsident Hamid Karsai legt den Entwurf eines Wahlgesetzes vor, laut dem Kandidaten für die Parlamentswahlen als Unabhängige und nicht als Parteivertreter antreten sollen. Blockade bei der Registrierung neuer Parteien trifft Demokraten

AUS KABUL JAN HELLER

Ohne politischen Parteien will Afghanistans Präsident Hamid Karsai offenbar die für September angesetzten Parlamentswahlen abhalten. Dies geht aus einem der taz vorliegenden Entwurf des fünf Monate vor dem Termin immer noch nicht veröffentlichten Wahlgesetzes hervor.

Darin heißt es in Artikel 20, dass für das 249 Sitze umfassende Unterhaus (Wolesi Dschirga) alle Kandidaten „als Unabhängige“ starten sollen. Alle Hinweise auf eine Rolle politischer Parteien, die in früheren Entwürfen enthalten waren, wurden in dieser neuen Variante gestrichen. Für Beunruhigung unter europäischen Diplomaten in Kabul sorgt ebenfalls, dass Karsai augenscheinlich auch das demokratischere proportionale System der Sitzverteilung im Parlament zugunsten eines Mehrheitssystems nach britischem Muster fallen lassen will.

Der Entwurf des Gesetzes soll zum Wochenende Karsai sowie dem Kabinett zur Unterschrift vorgelegt werden. Danach sind keine Änderungen mehr möglich. Sollten sich Karsais Vorstellungen durchsetzen, würde das die Warlords bevorteilen, die nach wie vor in weiten Gebieten das Sagen haben und bereits bei den Wahlen zu den beiden Loja Dschirgas 2002 und zur Jahreswende 2003/04 mit Gewalt, Einschüchterung und Bestechung kritische und prodemokratische Politiker von Kandidaturen abgehalten haben. Den Kämpfern der Warlords wäre es dann erneut ein Leichtes, dafür zu sorgen, dass alles zu ihren Gunsten läuft. Kleinere Gruppen und ethnische Minderheiten hätten so kaum eine Chance, ihre Vertreter ins Parlament zu bekommen.

Auf der Berliner Afghanistan-Konferenz vor drei Wochen hatte sich die Kabuler Regierung in ihrem als offiziellem Dokument vorgelegten Arbeitsplan noch verpflichtet, bis Juni 40 Prozent der Milizen der Warlords zu entwaffnen und danach den Prozess der Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration noch vor den Wahlen zu intensivieren. Damit soll erreicht werden, dass durch „freie und faire Wahlen“ erstmals seit Jahrzehnten eine „vollständig repräsentative Regierung“ entsteht.

Doch zurzeit weigern sich wichtige Warlords wie Ismail Khan in Herat, General Atta Mohammed in Masar-i Scharif, General Daud im von deutschen Isaf-Soldaten betreuten Kundus sowie der prosaudische Wahhabitenchef Abdul Rabb Sajaf in Kabul, ihre Einheiten diesem Prozess zu unterwerfen. Mehrere ihrer Kommandeure verweigerten Verifizierungsteams mit internationaler Beteiligung den Zugang zu ihren Kasernen, weil sie „deren Sicherheit nicht garantieren“ könnten.

Schon bevor der Wahlgesetzentwurf bekannt wurde, hatte die Regierung – sowohl Karsais Flügel als auch die Minister gewordenen Warlords der früheren Nordallianz – der Registrierung neuer politischer Parteien alle möglichen Hindernisse in den Weg gelegt. Das Parteiengesetz wurde ein Jahr lang im Kabinett verschleppt. Seit seiner Verabschiedung im September letzten Jahres wurden lediglich fünf der 37 Antrag stellenden Parteien zugelassen. In den Provinzen verhindern Militärkommandeure Aktivitäten aller Gruppen, die keine Registrierung des Justizministeriums vorweisen können. Zuletzt ließ Kommandeur Dawari in der neuen Provinz Daykundi Mitglieder der Nationalen Versöhnungspartei (NVP) krankenhausreif schlagen, die dort Mitglieder warben. Die NVP wartet seit Wochen auf ihre Registrierung.

Einem Sieg der alten Mudschaheddin-Parteien aus der Zeit des antisowjetischen Widerstands, die über genug Waffen und Gelder zum Großteil aus dem Drogenhandel verfügen, dürfte damit kaum mehr etwas im Wege stehen. Bescheinigte US-Außenminister Colin Powell auf der Berliner Konferenz Afghanistan noch, auf dem Weg zur Demokratie zu sein, meinte ein Vertreter einer der neuen prodemokratischen Parteien in Kabul gestern, er sehe „keine Initiative, einen demokratischen Übergang zu erreichen“.