Die Rolling Stones und nicht praktizierende Jungfrauen

In einem ihrer Filme, ich hab den Titel vergessen, sagt Isabelle Huppert, sie sei eine nicht praktizierende Jungfrau. Man muss seine Prinzipien haben. Und seinen Glauben. Als dann die Ritter ihre Pferde sattelten und der Minne lange Zeit entsagten, um den Gral zu suchen, wussten sie bereits beim Abschiedsruf, dass das Schlimmste, was ihnen jetzt passieren könnte, war, den Gral zu finden. Suchen aber muss man ihn. Immer. Das Problem der Kontingenz. Das Dilemma der Menschheit. Wie die Eltern (die Gesellschaft, der Mathelehrer ...) natürlich allemal daran schuld sind, dass man genau so geworden ist, wie man eben geworden ist, dass man dennoch ab einem gewissen Punkt genau dafür ganz allein verantwortlich ist. Dass man also die Rolling Stones lieben muss und sie doch ignorieren. Zumindest jetzt, in diesen Tagen, wenn sie wirklich am Sonntag im Berliner Olympiastadion das sind, was sie immer sind, die größte Rock‘n‘Roll-Band der Welt und damit des Universums. Und ich? Ich geh nicht hin. Wieder nicht. Hat gar nichts mit dem Eintrittspreis zu tun oder solche Sachen. Ist nur eine Vorsichtsmaßnahme. Genauer: Glaubenshygiene. Denn meine erste Platte, die ich aus freiem Willen gekauft habe, war eine Stones-Platte. Die zweite auch. Und glücklich darf ich mich preisen, dass ich einst bei den Konzerten nicht dabei sein konnte, weil es einfach mit der Kindergartenbefreiung nicht klappte. Damals, als Mensch und Mythos noch in Personalunion bei den Stones wohnten. Die Heiligkeit des Rock‘n‘Roll. Der Gral. Glauben aber heißt, nicht wissen wollen. Man könnte es nicht ertragen. Ein Rolling-Stones-Konzert, ein Rolling-Stones-Konzert heute, ist was für Agnostiker. Für Zyniker. Für die, denen die Stones nichts bedeuten. Denen Rock‘n‘Roll egal ist. Vielleicht haben sie sogar recht. Ich aber sage: Wer verzichtet, wird alles gewinnen. Zumindest seinen Glauben nicht verlieren. Musikalisches Zen.Thomas Mauch