: Die Poesie aus dem Laptop
Mit seinem Debüt sorgte der Finne Vladislav Delay alias Luomo in der Elektronikgemeinde einst für Aufsehen. Nun wagt er mit „Present Lover“ einen beherzten Schritt in Richtung Glamour-House
von KATJA HANKE
Januar 2001: Ein blasser, schmächtiger Junge mit kahl rasiertem Kopf steht hinter einem massiven Pult wie auf einer Insel und starrt auf einen Computerbildschirm. Kein brachialer Techno hämmert durch die Lagerhalle wie sonst, statt dessen füllt runder, wohliger House den Raum. Die Bassdrum legt ein lässiges Tempo vor, der Groove entwickelt sich langsam und gezielt. Ab und zu, wenn er die Bassläufe besonders tief brummeln lässt, nickt er leicht mit dem Kopf und spitzt die schmalen Lippen. Zu den Tanzenden schaut er nicht.
Normalerweise ist der Finne Vladislav Delay in einem ruhigeren Umfeld zu Hause. Auf Labels wie Chain Reaction oder Mille Plateaux veröffentlicht er fließenden Dub-Ambient, riesige Flächenkonstrukte mit groß angelegten Akkorden. Sein neues Projekt, das er an diesem Abend präsentiert, heißt Luomo. Auf dem Album „Vocalcity“, das wenige Monate vorher auf Force Tracks erschienen ist, beschreitet er einen neuen Weg und stellt seine Dub-Ambitionen in einen House-Kontext. Die Platte ist ein weitläufiges, zerklüftetes Experiment. Jedes Stück entsteht aus klanglichem Durcheinander, befreit sich langsam aus dessen Asymmetrie und entwickelt gemächlich Geradlinigkeit. Unaufdringliche Stimmen singen kurze Texte, mal ganz nah, dann wieder fern. Sie tauchen auf und verschwinden. Poetischer Deep-House, der auch die Tanzfläche verzaubert. Vladislav Delay sieht das nicht, er schaut nicht hin.
Mai 2003: Im Büro im Innenhof sei es ihm zu kalt, sagt Delay und lächelt zaghaft. Er sitzt lieber draußen in der Sonne, im Café. Längere Haare hat er jetzt, dunkelblond, ein echter Finne. „Wenn ich spiele, gucke ich nicht in die Menge“, sagt er und erinnert sich an jenen Abend vor zwei Jahren. Zu viele Menschen, all die „verrückten Leute“. Manchmal, da probiere er hochzusehen. „So“, er senkt den Kopf ein wenig und lugt verlegen über den Rand der großen braunen Sonnenbrille. Clubs zählten nicht zu den Orten, an denen er sich wohl fühlt. Mittlerweile ginge es aber schon besser.
Gerade ist das zweite Luomo-Album erschienen. „Present Lover“ heißt es, und mit ihm macht Delay einen großen Schritt in Richtung Glitzer-House. Klare Songstrukturen dominieren diese Platte. Die Stücke beginnen mit pathetischen Flächen, mit schwebenden Stimmchen und gehen geradewegs in einen soliden House-Beat über. Der Gesang steht im Mittelpunkt: R & B-Stimmen, die ohne Umweg verführerisch sein sollen. „Die Platte klingt sauber, sehr entworfen“, sagt Vladislav Delay. „Genauso sollte sie sein.“
Und: Die neue Platte sei so, wie die alte ursprünglich sein sollte. „Vocalcity“ war für ihn nur ein Zwischenschritt dahin, zum „puren Vocal-House-Album“. Leichte Musik, die „einem ein gutes Gefühl gibt“. Vor seinem Debüt vor drei Jahren hatte er mit House recht wenig zu tun gehabt. „Ich mochte House überhaupt nicht“, sagt er und verzieht das Gesicht ein wenig. Damals ging eine langjährige Beziehung in die Brüche, Selbstzweifel und Drogen kamen hinzu. So verarbeitete er die Trennung in Gedichten und wollte sie später musikalisch umsetzten, „auf positive Art“. Also nahm er seinen geballten musikalischen Hintergrund, die Echos seiner anderen Produktionen, und übertrug alles auf House. Moderne Disco-Musik, die auch Sehnsucht und Melancholie ausdrückt, war das Ergebnis. Ihm gefiel es nicht. „Damals war ich am Ende, und als Vocalcity fertig war, wusste ich, dass etwas, das ich als Luomo tun wollte, hier fehlte.“ Manche Hörer aber beschleicht nun bei der neuen Platte ein mulmiges Gefühl: Zu anbiedernd erscheint sie manchen, angepasst an die Standards des Mainstreams.
Hinter Vladislav Delay liegt ein langer musikalischer Weg. Angefangen in Finnland, wo im Elternhaus viel Jazz gehört wurde. Früh fing er an, selbst Schlagzeug zu spielen. „Mit vierzehn war ich gut genug, um in einer Jazzband zu spielen.“ Ein paar Jahre arbeitete er als Studio- und Live-Musiker. Alles musste er spielen, um Geld zu verdienen. Für den Jazz blieb wenig Zeit.
So war elektronische Musik für ihn eher eine Flucht – eine Möglichkeit seinen „eigenen Jazz“, so wie er ihn im Kopf hatte, zu verwirklichen. „Elektronischen Jazz“ nennt er die Musik, die er unter seinem Eigennamen produziert: sakrale Klanggebilde, meist ohne Beat. Das entspräche am meisten seiner Natur, auch wenn Luomo die größere Aufmerksamkeit bekäme. Sein „sicheres Einkommen“ ist keines der beiden Projekte. Das verdient er mit einer eigenen Software-Firma.
Produzieren und auftreten nennt er ein „Hobby“. Eines, für das er viel unterwegs ist. Musik macht er immer, wenn er „Lust dazu hat“: in Flugzeugen und Hotelzimmern am meisten, mit dem Laptop. Drei Remixe für die TripHop-Veteranen von Massive Attack habe er auf diese Art gerade fertig gestellt.
An „Present Lover“ hat er über zwei Jahre gearbeitet. Hat sich genügend Zeit gelassen, alles so zu Ende zu bringen, wie er es wollte. Ist „Vocalcity“ ist wie ein Spaziergang durch ein geheimnisvolles Land, dann ist „Present Lover“ ein Gang durch eine normgerechte, funkelnde Shopping-Mall. Verirren kann man sich in ihr nicht. Der Soundtrack für ein schönes Leben. Sexy und unbeschwert.
Vladislav Delay geht es gut. Die Zeiten von Zweifel und Verwirrung liegen hinter ihm. Vieles sei anders. Und wie reagiert er jetzt, wenn jemand zu ihm kommt und spontan seine Begeisterung äußert? „Ich bin darin schon besser geworden“, sagt er und setzt ein breites Grinsen auf. „Manchmal lächle ich sogar und sage ‚Danke‘.“
Luomo: „Present Lover“ (BMG Modul)