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Archiv-Artikel

Die Schau der Egomanen

Braunschweigs Herzog Anton Ulrich Museum feiert sein 250-jähriges Bestehen mit der Ausstellung „Neue Ansichten vom Ich“: Gezeigt werden grafische Selbstbildnisse des 20. und 21. Jahrhunderts

Johannes Grützke posiert als naserümpfender Künstlerdarsteller: Distanz vom Ich – oder Arroganz?

aus Braunschweig Frank Schäfer

„Wenn ich nicht über mich selbst nachdenke, denke ich gar nicht“, hat mal ein Schriftsteller gesagt. War es Montaigne? Lichtenberg? Mir fällt es jetzt nicht ein. Wäre dieser nicht unwitzige Mann bildender Künstler gewesen, hätte er vielleicht gemalt wie Philip Akkermann, zumindest hätte er sich vor der Konsequenz des Niederländers zustimmend verneigt. Akkermann hat seit 1981 nichts anderes mehr als Selbstbildnisse hergestellt. Zu dieser Halsstarrigkeit passt auch seine an den niederländischen Altmeistern des 17. Jahrhunderts geschulte Technik, die dem Konterfei bei allem Nuancenreichtum jene derb-burleske Quadratschädeligkeit verleiht, die man mindestens erwarten durfte.

Akkerman zählt mit dem Israeli Ofer Lellouche, der mit einem düster-verschwommenen, leicht comichaften Zerrbild seiner selbst vertreten ist, zu den Entdeckungen dieser Sonderausstellung des Braunschweiger Herzog Anton Ulrich-Museums, das in diesem Jahr 250 Jahre alt wird. Das Subjekt kehrt zurück in der Gegenwartskunst, konstatiert Ausstellungsmacher Thomas Döring in seinem instruktiven Einleitungsessay des hübschen Begleitkatalogs.

Insofern sind die hier gezeigten Werke wenn schon nicht exemplarisch, so doch symptomatisch. Mit anderen Worten: Für einen veritablen Überblick über das Selbstporträt in der Gegenwartskunst reicht es nicht. Aber immerhin eine Tendenz lässt sich sichtbar machen.

Das liegt unter anderem daran, dass man, ergänzt durch einige Arbeiten aus dem Fundus,vornehmlich Neuanschaffungen präsentiert. Schon sie geben Einblick in die stilistische Heterogenität des Sujets – und der zu Grunde liegenden ästhetische Konzepte: Während Künstler wie Akkerman oder Horst Janssen – ein mindestens ebenbürtiger Egomane – selbst wenn sie sich in Rollen und Posen flüchten noch auf die Realität verweisen, sollen die – völlig unterschiedlichen – Arbeiten von Georg Baselitz und Andy Warhol im Grunde nichts mehr abbilden. Es sind, so hat Kevin Powers mal Werke von Baselitz beschrieben, „Setzungen, Mutmaßungen, Behauptungen“. Und zugleich sind es Auseinandersetzungen mit der Tradition – im Falle Baselitz’ mit dem Expressionismus, im Falle Warhols mit dem Film und den Pulp-Heften seiner Kindheit.

Häufiger allerdings ist das gezeigte Ich eine Art Sprungbrett, um zum Anderen dahinter zu gelangen: dem Mythos, wie bei Lellouche, oder dem Unbewussten wie bei Jim Dine und Rolf Böttcher. Böttcher bevorzugt die schnelle Skizze mit Bleistift oder Tusche, die nicht mehr das „Ich“ selbst, sondern das „Es“ zeichnet. Was er anstrebte – der 1929 in Stendal geborene Künstler starb im Jahr 2001 – ist ein bildkünstlerischer Transfer der surrealistischen écriture automatique, des besinnungslosen Schreibens.

In gewisser Weise Böttchers Antipode ist Richard Hamilton. Alle seine Bilder sind akribisch durchgearbeitet, anpielungsreich – so alludiert sein Self Portrait in a Cracked Mirror auf eine einschlägige Szene in Joyce’s Ulysses – und reflektieren immer auch die gewählte Technik des Bilddrucks. Überdies zeigen sie eine handwerkliche Brillanz in so unterschiedlichen Genres wie dem Siebruck, der Radierung und der nachträglich manipulierten Fotografie: einer der Höhepunkte der Ausstellung.

Zuweilen nutzen die Künstler das Selbstporträt zur Kontaktaufnahme mit dem imaginierten Publikum. Der Blick in den Spiegel wird inszeniert als Blick ins Auge des Betrachters. So kann man Johannes Grützkes misstrauisch, ja beinahe verächtlich naserümpfendes Selbstbildnis, wie es der Kommentator Claus Kemmer tut, als womöglich ironische Distanzierung vom eigenen Werk oder gar dem eigenen Selbst lesen. Zugleich aber posiert er als arroganter Künstlerdarsteller, der dem gemeinen Ausstellungsbesucher eher argwöhnisch begegnet: Man versteht mich ja doch nicht …

Die Kommentartexte zu den Bildern sind manchmal oberlehrerhaft. Und gelegentlich auch zu apologetisch, besingen die Qualität der eingekauften Bildnisse etwas zu lautstark, so als müsse man sich noch einmal vor den Sponsoren oder wem auch immer rechtfertigen, dass man keinen Schund eingekauft hat. Das wäre nicht nötig gewesen. Man merkt schon selber, dass man in einer kleinen, sehr feinen Ausstellung war. „Fortsetzung folgt?“ fragt Döring am Ende seines Katalogessays. Wer lange fragt, gibt nicht gern!

Herzog Anton Ulrich-Museum, täglich außer montags 10 bis 17, mittwochs bis 20 Uhr. Katalog 15 Euro. Bis 20. 06.