Hickhack im Weltall

Wie soll der neue und zehnte Planet unseres Sonnensystems heißen?

Mit minus 240 Grad kaum Assoziationen zu Wellen, Strand und Möwen

Wenn der im vergangenen Jahr entdeckte zehnte Planet unseres Sonnensystems Pech hat, wird er noch eine Weile „2003 V 12“ heißen müssen. Dabei hatten ihn seine Entdecker, die Astronomen des California Institute of Technology, eigentlich schon längst getauft. Sedna sollte der Himmelskörper fortan heißen, nach der Meeresgöttin der Inuit.

Die internationale Astronomie-Union IAU weigert sich jedoch, den gewählten Namen anzuerkennen. Und das nicht, weil der mit –240 Grad Durchschnittstemperatur eher unwirtliche Planet kaum Assoziationen zu Wellen, Strand und Möwen auslöst. Auch das eher irritierende Schicksal der Göttin, die der Sage nach einst eine schöne, stolze Frau war, die vom Vater zwangsverheiratet wurde und sich derart ausdauernd dem neuen Ehemann verweigerte, dass ihr Erzeuger sie schließlich ins Meer warf, wo sie bis zum heutigen Tag völlig wütend auf dem Grund sitzt und ab und zu Stürme entfesselt, störte die Astronomen nicht. Die IAU-Mitglieder seien vielmehr „sehr irritiert“ darüber, dass die Presse eher über den neuen Namen des Planeten informiert worden sei als sie, erklärte ein Sprecher kürzlich der Weltpresse.

Dabei liegt das Recht, einen Himmelskörper zu taufen, traditionell bei den Entdeckern, die sich nur an einige Gepflogenheiten halten müssen. Satelliten werden zum Beispiel zunächst vom für sie zuständigen Central Bureau for Astronomical Telegrams (CBAT) nummeriert und mit dem Anfangsbuchstaben des Planeten versehen, den sie umkreisen. Benannt werden sie meistens nach mythologischen Gestalten. Außer wenn sie Monde des Uranus sind, denn die heißen grundsätzlich nach Figuren aus den Werken von William Shakespeare und des britischen Satirikers Alexander Pope, deshalb gibt es unter ihnen eine Desdemona, einen Prospero, einen Oberon und eine Ophelia.

Größere nominelle Freiheiten haben dagegen Wissenschaftler, die Asteroiden entdecken. Für die kleinen planetenartigen Körper, deren Durchmesser maximal 100 Kilometer beträgt, ist das Minor Planet Center (MPC) zuständig. Für astronomische Verhältnisse werden die Winzlinge meist rasch getauft – schließlich dürfen sie sogar nach lebenden Personen, Bands oder Science-Fiction-Helden benannt werden. Und so hören die Miniplaneten auf so schöne Namen wie MacDonaldia, Adelheid, Loreley und Mr. Spock. Kometen tragen dagegen einfach bloß die Namen ihrer Entdecker. Und Planeten? Die werden eben nach alten Göttern benannt.

So gesehen, spricht nichts dagegen, den Planeten „2003 V 12“ hinfort Sedna zu nennen. Zudem Astronomen wie Alan Stern Boulde den laienhaften Einwand, dass Sedna eigentlich ziemlich klein und deswegen womöglich gar kein richtig echter Planet sei, nicht gelten lassen: „Ein Chihuahua ist zum Beispiel wirklich winzig, aber deswegen käme doch wohl niemand auf die Idee, dass er kein Hund ist.“ Wenn es nun aber doch noch eine ganze Weile dauern sollte, bis Sedna getauft werden kann, dann hat das durchaus auch Tradition. Schon einmal gab es ein ausgiebiges Hickhack um den Namen eines Planeten – und das hielt 70 Jahre an.

Uranus wurde 1781 von Friedrich Wilhelm Herschel entdeckt. Mit 19 Jahren war der gebürtige Hannoveraner als Musiker nach England ausgewandert, wo er sich mit seiner ebenfalls an Astronomie und Mathematik sehr interessierten Schwester Karoline im eigenen Cottage ein Observatorium aufbaute.

1781 war es dann so weit: William, der seinen Vornamen mittlerweile anglisiert hatte, entdeckte einen Planeten – eine Sensation, denn die Wissenschaftler jener Zeit waren fest davon ausgegangen, dass hinter dem Saturn kein Planet mehr existieren könne. Nachdem man sich nicht auf einen Namen einigen konnte, nannten französische Astronomen den Planeten schließlich kurzerhand nach seinem Entdecker, Herschel. Dieser Name galt jedoch nur knapp 20 Jahre lang, bis Joan Elert Bode, dem Direktor des Berliner Observatoriums und Herausgeber eines „deutschen astronomischen Jahrbuchs“, plötzlich auffiel, dass damit eine alte Tradition gebrochen wurde: Planeten wurden grundsätzlich nach antiken griechischen oder römischen Göttern benannt, und einen Herschel gab es im gesamten Olymp nun einmal nicht. Der Astronom, der sehr an Herschels Arbeiten interessiert war, schlug daher vor, den Planeten Uranus zu nennen, nach dem Gott des Himmels. Aber erst 1851 wurde diese Bezeichnung dann auch international akzeptiert – Herschel, der seine Entdeckung zeitlebens Georgian Sidus nannte, erlebte dies jedoch nicht mehr, er war 1822 im Alter von 84 Jahren gestorben. Immerhin überdauerte seine Bezeichnung für die „kleinen Planeten“, die auch heute noch als Asteroiden geführt werden.

Vielleicht ist der aktuelle Fall Sedna jetzt ein guter Anlass für Astronomen, die gesamte Himmelskörper-Nomenklatura ein für alle Mal zu revolutionieren. Und ab sofort nur noch die Namen von Fußballstars für zulässig zu erklären. Zum einen bliebe damit Asteroiden die Schmach erspart, beispielsweise Waltraud zu heißen – und Sedna dürfte dann als erster Planet einen Doppelnamen tragen und fortan als Solskjaer-Sheringham durchs himmlische Leben schweben. Denn ein derart wichtiger Wandelstern kann selbstverständlich nur nach den legendären Bayern-Bezwingern genannt werden. ELKE WITTICH