knock-out : Splatterboxen in Los Angeles
Der ältere Klitschko kämpft gegen den Südafrikaner Corrie Sanders nicht nur um den Weltmeistertitel, sondern auch um die boxerische Zukunft des Brüderpaares
Die Rettung der viel zitierten Familienehre ist eine ziemlich alberne Beschreibung für das, was Vitali Klitschko in der kommenden Nacht (ca. 4.30 Uhr/ZDF) im Staples Center von Los Angeles vorhat. Existenz retten wäre treffender – zumindest, was die boxerische Existenz der Klitschko-Brüder angeht. Sollte Vitali nämlich im Weltmeisterschaftskampf der WBC gegen den Südafrikaner Corrie Sanders ebenso scheitern wie Brüderchen Wladimir vor 13 Monaten gegen denselben Gegner und dann vor zwei Wochen gegen Lamon Brewster, könnte es gut sein, dass die Universität von Kiew demnächst zwei neue Dozenten bekommt, sich die Sache mit den boxenden Doktoren aus der Ukraine aber erledigt hat.
Dabei sah vor kurzer Zeit alles noch so rosig aus. Die Klitschkos galten nach Jahren der Exklusiv-Prominenz in Deutschland nun auch in den USA als Hoffnungsträger der Schwergewichtsklasse, in der es ziemlich trübe aussieht, was die lahmen Vorstellungen der Konkurrenz-Champions Chris Byrd und John Ruiz letzte Woche in New York deutlich unterstrichen. Erst sollte der eine, dann der andere Klitschko Weltmeister werden, und mit der Vertragsende-Klage gegen ihren langjährigen Promoter Klaus-Peter Kohl wollte sich das schlaue Brüderpaar den Weg freischaufeln, um als Titelträger bei amerikanischen Promotern wie z. B. Don King anheuern und kräftig Dollars scheffeln zu können. Doch dann bekam Wladimir von Brewster – unter durchaus mysteriösen Umständen – kräftig was auf die Nase, anschließend gab es eine Niederlage vor Gericht. Der Rechtsstreit geht weiter, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass ihn die Klitschkos am Ende gewinnen, vertragsfrei sind und feststellen müssen, dass sie nun keiner mehr will.
Doch Vitalis Chancen gegen Corrie Sanders stehen gar nicht schlecht. Zum einen galt der 38-jährige Südafrikaner bis zu seinem Sieg gegen Wladimir als besserer Golfer denn Boxer, zum anderen hat er ausgerechnet Lennox Lewis als taktischen Berater an der Seite. Lewis bestritt in Los Angeles seine letzte Titelverteidigung gegen Vitali Klitschko, und seine Taktik bestand damals einige Runden lang im Wesentlichen darin, ein dankbares Ziel zu bieten. Erst dann besann sich der Brite auf vormalige Qualitäten und traf seinen Gegner einige Male so kräftig im Gesicht, dass dieser aus mehreren Cuts heftig blutete und der Ringrichter den Splatterfight stoppte. Lewis war klug genug, danach als Weltmeister seine Karriere zu beenden und nun beim nächsten Treffen mit Klitschko den sicheren Platz außerhalb des Ringgevierts einzunehmen.
„Ich werde keinen der Fehler machen, die mein Bruder gegen ihn beging“, sagt der 32-jährige Vitali vor dem Sanders-Kampf und verspricht außerdem: „Ich werde ohne Emotionen in den Ring gehen.“ Das war nach Wladimirs Niederlage gegen Sanders noch anders gewesen, als der große Bruder in den Ring stürmte und dem Südafrikaner mit Familienrache drohte. Wladimir Klitschko gilt als der technisch bessere der beiden Brüder, doch Vitali ist der zähere. Das hat auch Lennox Lewis gemerkt. „Ich habe ihn ein paarmal gut getroffen“, sagt er, „er hat gezeigt, dass man ihn ernst nehmen muss.“ Auf der anderen Seite hat Lewis ein einfaches, wenn auch leicht perfides Rezept für Sanders parat, dem er seiner Meinung nach den Weg geebnet hat. „Wenn jemand drei oder vier Cuts eng beieinander hatte, muss man ihn nur im Gesicht treffen, dann geht alles wieder auf.“ Wenn es nach dem Briten geht, werden die Träume von Vitali Klitschko also ein sehr blutrünstiges Ende nehmen.
Offensichtlich ist, dass Corrie Sanders eine Menge Selbstvertrauen aus seinem Sensationssieg gegen den jüngeren der beiden Ukrainer geschöpft hat. „Seither fühle ich mich wie 32“, erklärt er und meint: „Jeder dachte, dass die beiden die nächsten Weltmeister sein würden. Einer ist weg, einer ist offensichtlich noch da. Das muss ich regeln.“
MATTI LIESKE