piwik no script img

Archiv-Artikel

Eine Leinwand aus Wörtern

Wissen und Erfahrung: Mit dem Kino verband die französische Schriftstellerin Marguerite Duras eine lebenslange Leidenschaft. Zu ihrem 90. Geburtstag in diesem Monat zeigt das Arsenal eine Werkschau ihrer Filme sowie zwei Dokumentationen über sie

VON MADELEINE BERNSTORFF

Marguerite Duras hat über zwanzig Jahre für den Film geschrieben. Und sie war bereits 52 Jahre alt, als sie begann, selbst Filme zu machen. Literatur und Film sah die französische Schriftstellerin als zutiefst geistesverwandt an: „Ich finde es ganz unglaublich, dass man in Bezug auf Bücher nicht von Zuschauern spricht“, hat sie einmal geschrieben. „Man sollte sagen, das Buch, der Roman, das Gedicht hat einen Zuschauer. Mit dem Wort ‚Leser‘ stößt man an ein Buch, weiter nichts. Mit dem Wort ‚Zuschauer‘ durchquert man es wie eine Leinwand.“

Eine Filmreihe im Kino Arsenal, die am 13. April begonnen hat, gibt nun die Möglichkeit, Duras’ Grenzüberschreitungen zwischen Film und Schreiben auf sich wirken zu lassen. Etwa in „Les Enfants“ (1984), der 1985 auf der Berlinale vorgestellt wurde.

Der Film beruht ursprünglich auf einem Kinderbuch von Marguerite Duras, in dem sich ein kleiner Junge in guter antiautoritärer Tradition der Reglementierungsinstitution Schule verweigert. Der siebenjährige Ernesto will nicht mehr in den Unterricht gehen: „Ich will nicht lernen, was ich nicht weiß“, begründet er sein Verhalten. Bruno Nuytten, der Kameramann, schuf dazu hell strahlende Bilder, der erwachsene Darsteller spielt den Jungen anfangs mit kindlich wissendem und selbstverständlichem Trotz – er ist erst sieben, aber sieht aus wie vierzig. Leider verlieren seine Gesten im Laufe des Films diese schillernde Kindlichkeit, er wirkt immer erwachsener. Die Eltern verwechseln ihn, Ernesto, manchmal mit seinem Bruder Vladimir. Die Schwester, die bald ebenfalls die Schule verlassen will, bleibt namenlos.

Immer mal wieder möchte Ernesto zu seinen „Brothers and Sisters“ – wieweit da noch Referenzen zu Duras’ Abrechnung mit dem dogmatischen Marxismus und, später, auch mit der 68er-Bewegung zu finden sind, darüber waren sich die Experten nicht ganz einig, die am Mittwochabend im Rahmen der Filmreihe im Arsenal zu einer Podiumsgespräch geladen waren: die zwei Drehbuchautoren, die am Bühnenrand kauerten wie zwei „Warten auf Godot“-Figuren, und Lars-Henrik Gass, Autor der 2001 erschienenen Studie „Das Ortlose Kino“. Er hat in seinem Buch untersucht – in extenso und mit weitreichenden Bezügen zur Philosophie –, wie in Duras’ Filmen das Verhältnis zwischen Sichtbarem und Sagbarem, zwischen Erzählerischem und Unerzählerischem jenseits des Buches neu überdacht wird. Auf eine Deutung konnte er sich mit seinen beiden Gesprächpartnern einigen: Es gehe um den Widerspruch von savoir und connaissance – ein Spannungsverhältnis, dem die deutsche Übersetzung „Wissen und Erfahrung“ nicht ganz exakt gerecht wird.

Dafür wurde bei dem Podiumsgespräch manche Anekdote überliefert: So drehten Jean-Marie Straub und Danielle Huillet 1982 mit Henri Alekan an der Kamera nach der gleichen Vorlage den Kurzfilm „En râchâchant“ – ohne Genehmigung von Marguerite Duras! Damit kamen sie den beiden Drehbuchautoren Jean-Marc Turine und Duras’ Sohn Jean Mascolo zuvor, denen Marguerite Duras bereits die Idee geschenkt hatte, damit sie daraus einen Film machen. Nachdem der Stoff nun aber schon verfilmt war, sprang die staatliche Institution INA als Produktionspartner ab. Geld, das vom damaligen Kulturminister Jack Lang für die Verfilmung des Duras-Stückes „La Maladie de la mort“ bereitgestellt worden war, wurde darum kurzerhand „umgewidmet“.

Den beiden Drehbuchautoren, die im Arsenal über die Arbeit am Film erzählten, war dabei noch immer die Freude anzumerken, das System der Filmförrerung ein bisschen an der Nase herumgeführt zu haben. Natürlich ging das nicht ganz ohne Streit, ein dreijähriger Prozess folgte. Und eine skurrile Episode bei der Berlinale: Als der Film dort 1985 seine Uraufführung hatte, wollte der Produzent nur mit dem Namen „Duras“ werben, denn inzwischen hatte sie für „Der Liebhaber“ den Prix Goncourt bekommen. Er hatte die Titel verändert, woraufhin der damalige Festivalleiter im Anschluss an die Aufführung noch einen Überraschungskurzfilm ankündigte: den Nachspann mit den richtigen Titeln und Namen der Beteiligten.

Viel Schwarzfilm, wie in ihren Filmen „Agatha“ und „Aurelia Steiner“, findet sich auch in dem Gesprächsfilm „Ecrire“ (1993), den Benoit Jacquot im Gespräch mit Marguerite Duras in ihrem Haus drehte. Sie klimpert am Klavier, lässt sich dann in einem Sessel nieder, den großen Kopf zwischen den Schultern, die sprechenden Hände in ausholenden Bewegungen. Jacquot ihr gegenüber. Manchmal nähert sich die Kamera behutsam dem Gesicht. Einige Blickwinkel, durch die Fenster von innen, ein Sofa mit zartfarbenen Kissen.

Dieses Haus, das sie sich mit den Tantiemen für die Filmrechte an einem ihrer Stoffe gekauft hatte, sollte ein Ort werden für Freunde, und dann wurde es ein Ort der Einsamkeit. Hier beschreibt Marguerite Duras ihre Zustände des Schreibens, wenn sie alles bezweifelte: die Ehe, die Freunde; aber nie die Kindheit, die Kindheit wurde nie bezweifelt. Jacquot fragt, wie dieses Haus mit diesem Verlust des Selbsts, den sie immer wieder äußert, verbunden sei. „Das ganze Haus schrieb mit mir“, antwortet sie darauf. Schreiben sei wirklich wie die Nacht – ohne diese Einsamkeit tue man nichts, damit halte man den Kopf wach. „Aber ich war nicht einsam, weil ich diese Arbeit hatte, diese schreckliche Arbeit.“

Und dann erzählt sie die Geschichte vom Tod einer Fliege. Sie saß an der Wand und schwirrte mit den Flügeln, Duras sah ihr zu: „Ich kämpfte für ihr Leben. Eine Viertelstunde lang. Dann klebte sie an der Wand. Tod bedeckt die Welt. Nie spricht jemand von den Fliegen. Wie sie gekämpft hat, die Fliege.“

Die Werkschau von Marguerite Duras ist noch bis zum 13. Mai zu sehen. Im Kino Arsenal, Filmhaus am Potsdamer Platz, Tiergarten. Programm unter: www.fdk-berlin.de