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socken sind die punk-rocker des kleiderschranks von RALF SOTSCHECK

Ich will keine Namen nennen. Nur so viel: Es gibt in dieser Zeitung einen Redakteur englischer Herkunft, der niemals Schuhe oder Socken trägt. Selbst die Sandalen, die ihm Wohlmeinende aus alten tazzen gebastelt haben, verschmäht er. Manche Kollegen halten das für einen englischen Tick. Das ist es aber gar nicht. Der Mann ist völlig untypisch.

Die Socken sind im Allgemeinen das Letzte, das der Engländer ablegt. Im Frühjahr, wenn es selbst in England etwas wärmer wird, macht er bisweilen den Oberkörper frei und schlüpft schon mal in kurze Hosen. Aber die Socken bleiben an den Füßen, auch wenn es noch so warm ist. Sogar im Bett, so hat man mir versichert, zeigt der Engländer untenrum keine Blöße. Und wenn doch, dann sind die Socken das erste Bekleidungsstück, das er am Morgen wieder anzieht.

Was für das Fußvolk gilt, trifft erst recht auf den Adel zu. Wenn ein Lord von exzentrischen Anwandlungen übermannt wird, was im Londoner Oberhaus alle Nase lang vorkommt, zieht er zum schwarzen Anzug rote Socken an. Achten Sie mal bei Übertragungen aus der geriatrischen Schnarchbude darauf.

Auch die Queen und ihr Gatte Prinz Philip trugen weiße Socken, als sie Ende der Neunzigerjahre den Goldenen Tempel von Amritsar besuchten, der eigentlich nur barfuß betreten werden darf. Vielleicht wollte sich der peinliche Prinz, der auf Auslandsreisen selten ein Fettnäpfchen auslässt, nicht die Füße fettig machen.

Der Oberschicht wird die Bedeutung der Socke schon von frühester Jugend eingebläut. Auf der Eliteschule Eton benutzen sie Socken als Brandzeichen. Es gibt dort mehr als hundert verschiedene Sockenfarben, die den Träger nicht nur als Betreiber einer bestimmten Sportart identifizieren, sondern auch verraten, wie weit er es darin gebracht hat.

„Socken sind die Punk-Rocker des Kleiderschranks“, findet hingegen die englische Fußbekleidungsspezialistin Annalisa Barbieri. „Sie sind anarchistisch und schwer einzuschätzen, sie leben nach eigenen Gesetzen: Sie können einen Berg Wäsche, der weit größer ist als sie selbst, mühelos verfärben. Socken lassen einfach nicht mit sich reden.“

Und sie sind schlau, könnte man hinzufügen: Sie trennen sich bei der ersten Wäsche und lassen sich fortan nie mehr gemeinsam blicken. Die britische Ausgabe der Modezeitschrift Vogue spekulierte kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges darüber, was Männer wohl im 21. Jahrhundert tragen werden. „Wegwerfsocken“, glaubte die Autorin des Beitrags damals. „Oh nein“, widerspricht Barbieri. „Eines Tages übernimmt er vielleicht den Euro und freundet sich sogar mit den Deutschen an, aber seine Socken wird der Engländer niemals wegwerfen.“

Was hat es bloß mit den Füßen auf sich, dass der Engländer lieber seinen nackten Hintern herzeigt als die Socken auszieht? Als ich neulich in der Redaktion war, habe ich vor dem Schreibtisch des bereits erwähnten englischen Kollegen, dessen Namen ich nicht nenne, den Verlust einer Münze vorgetäuscht, um auf dem Boden herumkrauchen und unauffällig einen genauen Blick auf seine Füße werfen zu können. Das Ergebnis war unbefriedigend: Sie sehen halbwegs normal aus. Aber der Redakteur ist ja auch nur Halbengländer.

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