: Stockholm nicht mehr gratis
Die schwedische Hauptstadt will die Innenstadt vom Autoverkehr entlasten und führt Mautsystem auf Probe ein. Über die Fortsetzung entscheidet dann die Bevölkerung
STOCKHOLM taz ■ Der Name ist Programm: „Trängselskatt“ heißt das Mautsystem, das Stockholms Innenstadt ab dem kommenden Jahr von Verkehr entlasten soll. „Trängelskatt“ bedeutet auf Deutsch „Gedränge-Steuer“. Das Projekt ist zunächst befristet, es startet voraussichtlich am 12. Juni 2005 – an diesem Tag beginnen in Schweden die Sommerferien – und läuft bis zum 31. Juli 2006.
Der schwedische Reichstag muss die Trängselskatt noch absegnen, doch dürfte das eine Formsache sein, da hier mit Sozialdemokraten, Grünen und Linkspartei die gleichen Parteien eine Mehrheit haben, die sich im Stockholmer Stadtrat auf die Maut geeinigt haben: Für die Grünen war sie die im Koalitionsvertrag verankerte Voraussetzung dafür, den Sozialdemokraten zu einer Mehrheit und zum Oberbürgermeisterposten in der Hauptstadt zu verhelfen. Im September 2006 entscheiden die Stockholmer dann selbst, ob sie die Maut haben wollen.
Diese sieht im Einzelnen so aus: Sie wird werktags zwischen 7 und 18.30 Uhr erhoben, besonders viel muss zahlen, wer sich zu Stoßzeiten in oder aus der Stadt drängelt. In der Rushhour morgens und nachmittags werden 2,20 Euro fällig, sonst bis zur Hälfte weniger.
Stockholms Öffentlicher Personennahverkehr soll mit einem zusätzlichen Angebot ergänzt werden, um das erwartete Mehr an Reisenden verkraften zu können. Die Stadt hat sich London zum Vorbild genommen: In der dortigen Innenstadt, wo es seit mehr als einem Jahr ebenfalls eine Maut gibt, sind mittlerweile 30 Prozent weniger Privatleute mit dem Auto unterwegs als früher. Im Gegenzug steigen aber 1,1 Millionen mehr Menschen in die roten Doppeldeckerbusse. Stockholm hat sich zum Ziel gesetzt, den Innenstadtverkehr um bis zu 15 Prozent zu verringern.
Technisch orientieren sich die Schweden an dem System, das in den norwegischen Städten Oslo, Trondheim und Bergen seit Jahren erprobt ist. An den Einfallstraßen in die Innenstadt – was dank der geografischen Lage Stockholms auf mehreren Inseln nur 19 sind – werden Mautstationen eingerichtet. Autofahrer können ein Elektronikteil von der Größe einer flach gedrückten Zigarettenschachtel an der Windschutzscheibe befestigen, das mit Sendern an den Mautstellen kommuniziert und die Maut vom Bankkonto des Halters abbucht.
Wer ein Auto ohne dieses System hat und nicht die Fahrspur für Barzahler nutzt, dessen Kennzeichen wird fotografiert. Die Maut muss dann binnen vier Tagen eingezahlt werden, sonst gibt es erst eine gebührenpflichtige Mahnung und nach vier Wochen eine Strafe von umgerechnet rund 55 Euro.
Um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen und das Ja bei der Volksabstimmung zu fördern, soll es Ausnahmeregelungen für die Bewohner bestimmter Stadtteile und für alle eine tägliche Mautobergrenze von 60 Kronen (rund 6,50 Euro) geben – immerhin betragen die Investitionskosten rund 100 Millionen Euro. REINHARD WOLF