piwik no script img

Archiv-Artikel

Hartz-Gesetz überfordert Bundesagentur

Chef der Nürnberger Behörde warnt davor, die fusionierte Arbeitslosen- und Sozialhilfe nicht verwalten zu können. Starttermin 1. Januar 2005 ist nicht zu halten. Wenn die Zusammenlegung kommt, verlieren 500.000 Betroffene Anspruch auf Stütze

AUS BERLIN CHRISTIAN FÜLLER

Jetzt zieht der Chef selbst die Notbremse. Der Präsident der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, hat davor gewarnt, seine Behörde mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu überfordern oder gar lahm zu legen. Weise sagte dem Spiegel: „In einem privaten Unternehmen müsste ich sagen: Lassen wir die Finger davon!“ Die Reform der Arbeits- und Sozialhilfen sind wichtige Projekte der rot-grünen Bundesregierung.

Weise vermied es, dem für die Agentur zuständigen Superminister Wolfgang Clement (SPD) direkt zu widersprechen. Aber der erst vor wenigen Monaten ernannte neue Chef der Arbeitslosenverwaltung wies gleich mehrfach daraufhin, dass der Starttermin 1. Januar für die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe nicht zu halten sei. Wenn das so genannte Optionsgesetz nicht komme und wenn die Kommunen bei der Erfassung der Sozialhilfedaten nicht mitmachten, „dann ist die Zeitschiene zum 1. Januar 2005 sehr kritisch zu sehen“, sagte Präsident Weise.

Das Optionsgesetz sollte ursprünglich das Hartz-IV-Gesetz über die Zusammenlegung ergänzen. Die Chancen auf seine Verabschiedung werden aber sowohl in Kreisen der Regierung als auch bei der Opposition als minimal bezeichnet. Das Gesetz sah vor, den Kommunen eine Wahlmöglichkeit einzuräumen, ob sie die fusionierte Arbeitslosen- und Sozialhilfe selbst verwalten wollen. Kommt das Gesetz nicht, ist nach dem Willen von Wirtschaftsminister Clement die Bundesagentur zentral dafür zuständig. Dass deren Chef Weise nun das Scheitern prophezeit, heißt die Gefolgschaft für Clement aufzukündigen.

Das Zusammenlegen von Arbeitslosen- und Sozialhilfe gilt deswegen als wichtig, weil beide Hilfearten schwer unterscheidbar sind und weil sich verschiedene Behörden Konkurrenz in der Verwaltung Arbeitsloser und Bedürftiger machen. Beinahe alle Parteien hatten daher das Verschmelzen auf die Tagesordnung gesetzt, für die Bundesregierung entwarf der Arbeitsdirektor von VW, Peter Hartz, das nach ihm benannte Modell. Rund 800.000 Sozialhilfeempfänger, so schätzen Experten, bekommen fälschlicherweise Stütze. Eigentlich könnten sie arbeiten und seien daher vermittlungsfähig.

Indessen wiesen Clements Leute aus dem Wirtschaftsministerium darauf hin, dass die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe selbst im Falle eines organisatorischen Erfolges massive Verschlechterungen nach sich ziehen würde. „Wir schätzen, dass 500.000 Menschen ab 2005 kein Geld mehr bekommen, weil das Haushaltseinkommen über den Bedarfssätzen liegt“, sagte ein Sprecher.

Auch der DGB warnt vor künftigen Problemen: „Viele Bürger haben nicht realisiert, dass die Änderungen im großen Umfang die Mittelschicht treffen.“ 36 Prozent der Hilfeempfänger im Osten und 20 Prozent im Westen hätten dann wegen neuer Anrechnungsregeln keinen Anspruch mehr.