berliner szenen German Trip

Aral, nicht immer

Vor einiger Zeit war ich in Los Angeles. Dort bin ich selten zu Fuß gegangen, außer zum Red Lion, einer alten Kneipe, die ganz in der Nähe des Hauses meiner Freunde lag. Drin ging es allerdings seltsam zu: Im ziemlich dunklen Raum leuchteten die Dekolletees der Kellnerinnen in süddeutscher Tracht wie Kuhglocken in der bayerischen Sonne, ein Musikautomat bot uralte deutsche Schlager an. Ich reagierte reflexartig und trank sofort einige Jägermeister, was dazu führte, dass mir während meines kleinen German Trips irgendwann schwermütig wurde. Ich verließ das Lokal und torkelte nach Hause, die zahlreichen seismischen Risse im Asphalt bewundernd und ganz froh, den Sauerkrautduft gegen das magische Parfum von Bougainvilleas getauscht zu haben.

Kurz nach meiner Rückkehr in Berlin ging ich frühmorgens zum Kotti, die Skalitzer Straße entlang. Spuren mächtiger Naturkräfte waren hier nicht zu sehen, nur kleine, popelige Löcher im Bürgersteig, der Maipflastersteinernte wegen. Auf der Höhe der BP-Tankstelle, an der Kreuzung Mariannenstraße, wo sonst die gewöhnliche Mischung aus Grün und Gelb herrschte, wurde mir plötzlich blümerant. Hatte ich zu viel von der berühmten California sun gehabt? Ich war ja auf dem Weg zum Arzt, des Alters wegen, und bildete mir ein, dass ich jetzt vielleicht unter einer sonderbaren Form vom Daltonismus litt. Als ich am Nachmittag wieder den Kiez-Freeway entlangschlenderte, diesmal, um Klara vom Hort abzuholen, stellte ich erleichtert fest, dass meine morgendliche Halluzination keine gewesen war, sondern dass die Welt sich schneller verändert als gedacht: Für lokale Luftverpestung und andere Konsumsüchte sorgt jetzt nicht mehr BP, sondern Aral. YVES ROSSET