Nachkriegs-Merkel ist Vorkriegs-Merkel

War der Irakkrieg von US-Präsident George Bush richtig oder falsch? Die CDU-Vorsitzende weigert sich, diese klare Frage klar zu beantworten. Stattdessen argumentiert sie heute immer noch so verschwurbelt und verschachtelt wie vor einem Jahr

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Der gestrige Auftritt der CDU-Vorsitzenden nach der Präsidiumssitzung war typisch Merkel. Erst tut sie auf der Pressekonferenz so, als gebe es kein wichtigeres Thema als das 197. Papier zum Aufbau Ost, das die Parteispitze gestern vorgelegt hat. Als sie dann jedoch an den Fragen der Journalisten merkt, dass die Öffentlichkeit die Haltung der CDU zum Irakkrieg offensichtlich mehr interessiert – natürlich wusste Merkel das auch schon vorher, wollte aber von sich aus nichts dazu sagen – tut sie das, was sie am besten kann: bloß kein Wort zu viel sagen, sich ja nicht festlegen.

Zum Thema Irak variiert Merkel eine halbe Stunde einen einzigen Gedanken, zugegebenermaßen einen, der nicht mal ganz verkehrt ist: Hätte der Westen, hätten insbesondere die Europäer vor dem Krieg geschlossen gehandelt, wäre der Druck auf Saddam erhöht worden. Das nicht getan zu haben, daran trage auch die Schröder-Regierung Schuld. Es sei ein großer Fehler gewesen. Die Lehre daraus: Europa müsse gemeinsam handeln.

Diese Argumentation lässt leider zwei entscheidende Fragen unbeantwortet: War der Irakkrieg aus heutiger Sicht richtig? Und: Was hätte passieren müssen, wenn Saddam dem geschlossenen Druck des Westens standgehalten hätte? Auf die zweite Frage gibt Merkel wenigstens eine ehrliche Antwort: „Was das bedeutet hätte, kann man heute nicht sagen.“ Bei der ersten Frage, ob der Krieg falsch war, weicht sie aus: „Es war falsch, dass der Westen und Europa keine einheitliche Linie gefunden haben.“

In dieser Logik liegen auch ihre Ausweichmanöver bei allen anderen Fragen: Hat Ihr Parteifreund Horst Köhler mit seinem Vorwurf Recht, die Supermacht USA habe sich im Irak „arrogant“ verhalten? Merkel: „Ich habe nicht die Absicht, Sätze zu bewerten, die in einer geschlossenen Sitzung gefallen sind.“ Aber sie sei sich mit Köhler „absolut einig“ darüber, dass im Nachkriegsirak die Weltgemeinschaft mehr Verantwortung übernehmen müsse. Auch eine Supermacht könne die Probleme im Irak nicht allein lösen.

War der Kriegsgrund, Saddams Massenvernichtungswaffen, erfunden? Merkel: „Die UN wussten nie, ob Saddam Massenvernichtungswaffen besaß, deshalb haben sie ja 17 Resolutionen verabschiedet – aber Saddam hat nie kooperiert.“

Was sagen Sie dazu, dass Bush den Krieg schon lange vorher geplant hatte? Merkel: „Das ändert nichts an meiner Position.“

Die CDU-Vorsitzende argumentiert heute immer noch so vorsichtig und hermetisch wie vor einem Jahr, als der Krieg begann. Damals hatte sie das Kunststück fertig gebracht, ihre widerstrebende Partei an die Seite der USA zu führen, ohne ein einziges Mal klar gesagt zu haben, dass sie den Irakkrieg begrüßt oder gar für richtig hält. „Sie werden mich nicht dazu bekommen, etwas anderes zu sagen als bisher“, war ihre Standardantwort. Und dann immer der Standardvorwurf an die Regierung, das westliche Bündnis gespalten zu haben. Im März 2003 legte sie sie sich das erste Mal fest: Der Irakkrieg sei „am Ende unvermeidbar gewesen“, sagte sie. „Bei einem Nichthandeln wäre der Schaden noch größer gewesen.“

Angela Merkel gab sich gestern ganz selbstbewusst. Ihre Position vor einem Jahr sei „ausgesprochen weitsichtig“ gewesen.