: Zwist zwischen Griechenland und der Türkei
Nach Luftzwischenfall in der Ägäis droht Athen der Türkei mit einer EU-Blockade. Ankara fordert Rückkehr zum Dialog
ISTANBUL taz ■ Im Vorfeld des vom kommenden Donnerstag bis Samstag in Thessaloniki stattfindenden EU-Gipfels hat die türkische Regierung ihre Kollegen in Athen zu einer Rückkehr zum Dialog aufgefordert. In einem Gespräch mit dem griechischen Außenminister Papandreou beklagte Abdullah Gül die „künstlichen Spannungen“ der letzten Tage und schlug eine gemeinsame Ermittlungsgruppe vor. Dabei geht es unter anderem um einen von Griechenland beklagten Luftzwischenfall. Dabei sollen türkische Kampfflugzeuge einem griechischen Passagierjet auf dem Weg von Athen nach Istanbul so nahe gekommen sein, dass dessen automatisches Antikollisionssystem reagierte.
Dieser Zwischenfall, der sich vor einer Woche bei Lesbos abgespielt haben soll – die türkische Luftwaffe bestreitet, dass eine ihrer F-16-Maschinen dem Passagierflugzeug zu nahe gekommen sei –, ist der Höhepunkt einer griechisch-türkischen Krise, die nach mehreren Jahren einer kontinuierlichen Annäherung das Verhältnis zwischen beiden Ländern nun wieder zu verschlechtern droht.
Vordergründig geht es dabei um das alte Streitthema der Hoheitsrechte in der Ägäis. Während Griechenland zur See und in der Luft einen 10 Meilen Radius um jede Ägäisinsel beansprucht, will die Türkei nur sechs Meilen akzeptieren, weil sonst der gesamte ägäische Luftraum und jeder türkische Hafen praktisch gesperrt wären.
Doch während es vor fünf, sechs Jahren fast wöchentlich zu Zwischenfällen kam, schien sich in der letzten Zeit ein Modus Vivendi eingespielt zu haben. Umso erstaunter war man in Ankara, dass griechische Zeitungen vor einigen Wochen zuerst in großer Aufmachung davon berichteten, dass die griechische Luftwaffe vor mehreren Jahren einen türkischen Kampfflieger abgeschossen hätte, der Vorfall aber vertuscht worden sei, um keinen bewaffneten Konflikt zu riskieren. Danach häuften sich dann griechische Beschwerden über Luftraumverletzungen, die Papandreou auch offiziell in Brüssel zu Protokoll gab.
Am schärfsten äußerte sich am Wochenende Griechenlands Verteidigungsminister Yannos Papantoniou, der damit drohte, dass Athen eine weitere Annäherung der Türkei an die EU blockieren werde, wenn Ankara sein Verhalten nicht ändert.
Glaubt man den Verantwortlichen in Ankara, ist die ganze Krise künstlich produziert. Ein Sprecher des Militärs sagte, man habe Umfang und Routen der Patrouillenflüge im Vergleich zum Vorjahr nicht geändert. Manöverflüge seien vorschriftsmäßig bei der Nato angemeldet worden. Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan bezeichnete das Ganze als Medienkrise und bat um Zurückhaltung. In den türkischen Zeitungen wurde die Affäre zunächst kaum beachtet, bis die ersten Schlagzeilen nach dem Motto „Die Griechen geben keine Ruhe“ auftauchten. Türkische Diplomaten lassen sich anonym mit der Vermutung zitieren, die griechische Regierung wolle offenbar ihre EU-Präsidentschaft nutzen, um lang gehegte Forderungen, die bei den anderen EU-Partnern etwas in Vergessenheit geraten waren, wieder auf den Tisch zu bringen.
In der Tat sind bei den Verhandlungen über Hoheitsgewalt und Demilitarisierung in der Ägäis keine großen Durchbrüche erzielt worden. Stattdessen hatte man sich auf Themen wie Tourismus, Schmuggel und andere, weniger strittige Fragen konzentriert. Erst vor ein paar Wochen waren in einem feierlichen Akt die Minen entlang der türkisch-griechischen Grenze in Thrakien geräumt worden.
Kommentatoren türkischer Zeitungen vermuten deshalb, der eigentliche Grund für die Krise sei der Versuch der angeschlagenen Regierung Simitis-Papandreou, sich innenpolitisch auf Kosten der Türkei zu profilieren. Eine andere Erklärung ist die Situation auf Zypern. Mit Sorge hat man in Athen und Nikosia zur Kenntnis genommen, dass nach der Öffnung der Grenzen durch die Denktasch-Regierung der Eindruck aufkommen könnte, damit sei das Zypern-Problem gelöst. Am zweiten Tag des EU-Gipfels in Thessaloniki wollen nun Griechenlands Premier Simitis und sein türkischer Gast Erdogan im direkten Gespräch versuchen, einen Schritt weiter voranzukommen.
JÜRGEN GOTTSCHLICH