Staatsbürger in Uniform
Bundeswehr-Gelöbnis auf dem Rathausmarkt: Auszeit für die Zivilgesellschaft. Die Gegenkundgebungen sind so weit weg, dass die Offiziellen generös Verständnis aufbringen können. Von Beust stellt weitere Gelöbnisse in Aussicht
von PETER AHRENS
Der CDU-Abgeordnete Carsten Lüdemann ist im Privatleben rechtspolitischer Sprecher seiner Fraktion. An diesem Montag ist Lüdemann Militär, hat sich die Uniform angezogen, während im Plenarsaal der Bürgerschaft gleichzeitig die Bundeswehrsoldaten ihre Stahlhelme auf den Sitzbänken der Abgeordneten abgelegt haben. Die Zivilgesellschaft nimmt sich an diesem Abend des feierlichen Bundeswehr-Gelöbnisses und des Großen Zapfenstreichs auf dem Rathausmarkt eine Auszeit.
Die geladenen 800 Ehrengäste vom katholischen Weihbischof Hans-Jochen Jaschke über St.Pauli-Doyen Willi Bartels bis hin zum annähernd komplett erschienenen Senat stört das nicht. Die Stimmung beim Senatsempfang ist bestens, bei der Nationalhymne wird kräftig mitgesungen, und vom Protest gegen das „militaristische veraltete Ritual“, wie die GAL es nennt, ist hier nicht viel zu spüren. Einige der erschienenen Sozialdemokraten, die auf der Tribüne sitzen, blicken zwar ein bisschen unglücklich vor sich hin, aber Bürgerschaftspräsidentin Dorothee Stapelfeldt und Bundesverteidigungsminister Peter Struck versuchen, ihnen ihr schlechtes Gewissen wegzureden. Stapelfeldt findet es „eine republikanische Selbstverständlichkeit“, dass Soldaten auf dem Rathausmarkt im Fackelschein und im Stahlhelm zum Ritual aufmarschieren. Als auf einem Dach an den Alsterarkaden Protestierer es kurzzeitig schaffen, ein Transparent mit der Aufschrift „Tucholsky hat recht“ – der Dichter hatte dereinst Soldaten als Mörder bezeichnet – zu entrollen, hat Struck die Chuzpe zu bemerken: „Wenn Tucholsky heute noch leben würde, würde er den Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan auch für richtig halten.“
Es lag wohl nicht an Strucks Rede, dass während des Gelöbnisses mehrere der Rekruten die einstündige Zeremonie nicht durchhielten, kollabierten und so um die Vereidigung herumkamen. Das waren denn aber auch die einzigen Zwischenfälle: Die Gegendemonstration ist so weit weg, dass auch Struck und Bürgermeister Ole von Beust (CDU) „Verständnis“ für die Gegenkundgebung aufbringen können. „Die Bundeswehr schützt auch die Freiheit der Demonstranten“, sagt der Bürgermeister, und die Protestaktionen zeigten ja auch „die vielen Facetten der Großstadt“. Struck wurde gar nostalgisch und erinnerte sich, „dass ich in Hamburg als Student auch schon mal demonstriert habe in den 60er Jahren, gegen einen SPD-geführten Senat“.
Bevor es abschließend „Helm ab zum Gebet“ hieß, die Ehrengäste sich „zu Ehren der Truppenfahne“ von ihren Plätzen erhoben hatten, der Choral „Ich bete an die Macht der Liebe“ ertönte und „die Ehrenformation mit klingendem Spiel“ abgetreten war, sagte der Bürgermeister noch, dass er „sich gut vorstellen kann, dass es in absehbarer Zeit weitere Gelöbnisse geben wird“.