: Melodien, die Euphorie versprühen
Dem unschuldigen Augenaufschlag des englischen Pop ein Denkmal gesetzt: Seit 20 Jahren haben Frank Lähnemann und Stefan Kassel eine gemeinsame Freundin: Marina. Das Hamburger Label ist im Ausland bekannter als in seiner Heimatstadt und hat ein Stück Popgeschichte geschrieben
von Carsten Klook
Als die Musikjournalisten Frank Lähnemann und Stefan Kassel 1993 in Glasgow ein Demotape der Band Gazelle zugesteckt bekamen, war beiden klar, dass sie von nun an eine gemeinsame Freundin hatten: Marina.
Der Name wurde zum Programm für frischen und anspruchsvollen Pop mit Attitüde. 60 Platten haben die beiden in den zehn Jahren seit der Label-Gründung veröffentlicht. „Wir arbeiten international. Unser Label ist in den USA, England und Japan bekannter als in Deutschland. Dort haben wir ein Gütesiegel für gute Musik. In Hamburg kennt man uns gar nicht soo sehr“, sagt Frank Lähnemann.
Es hat den Anschein, als habe man sich getroffen, um den unschuldigen Augenaufschlag des englischen Pop der frühen 80er Jahre, der Post-Punk-Phase, ein Denkmal zu setzen. Einen Namen machte man sich unter anderem mit den Anthologien einflussreicher englischer Bands wie The Pale Fountains und Josef K sowie einer Compilation der legendären Jazzateers („I Shot The President“).
Euphorie versprühende Melodien und Beat-Nähe standen bei Marina seit jeher auf dem Spielplan, aber das Label hat noch viele andere Seiten und Qualitäten. „Wir machen alles, was unserem Geschmack entspricht. Das reicht vom Dancefloor Jazz bis zu deutschen Bands wie Der Plan. Wenn einer von uns ein Album nicht mag, erscheint es auch nicht auf unserem Label. Manche Platten wären ohne unser Zutun gar nicht entstanden, das Soloalbum von James Kirk (Ex-Orange Juice) zum Beispiel. Oder das Cosmic Peekaboo-Album von Free Design. Die Amerikaner hatten 30 Jahre keine Platte gemacht. Nach einem Beitrag für den Brian Wilson And The Beach Boys-Sampler haben wir angefragt, ob Free Design nicht ein neues Album machen wollen. Und es kam tatsächlich zur Reunion.“
Das grandiose Soloalbum „Surf“ des Ex-Aztec Camera-Frontmanns Roddy Frame erschien bei Marina als Vinyl. „Eine Zeit lang haben wir gar keine Platten pressen lassen. Zurzeit liegt der Vinyl-Anteil bei jeder Albumveröffentlichung bei zehn bis 35 Prozent“, sagt Lähnemann.
Die am Montag erschienene Jubiläums-Anthologie Ave Marina (als 2er-CD im Digipak oder als 3-LP-Edition erhältlich) gibt mit 38 Titeln einen reichhaltigen Überblick über das Werk des Labels. The Free Design sind ebenso vertreten wie Shack, Adventures In Stereo, The Primary 5, The Aluminum Group, Skinner, Article 58, Camping, Cowboy Mouth, Ashby und die Pearlfishers. Auch der deutsche Filmmusik-Komponist Peter Thomas liefert mit „Opium“ seinen Beitrag.
Ein schön ausgestattetes Booklet liefert den Beweis, dass das Label auch designerisch eine ästhetische Linie verfolgt. Die Abbildungen der veröffentlichten Platten erweisen mit Typos und Fotos den Sixties eine geschmackvolle Referenz. Die Cover, Stefan Kassels Werk, wurden in diversen Kunst- und Coverdesign-Büchern gefeiert.
Marinas größter finanzieller Erfolg war das Album Caroline Now! The Songs Of Brian Wilson And The Beach Boys mit Coverversionen etwa von Alex Chilton, The High Llamas, Saint Etienne, Peter Thomas, Jad Fair und Kim Fowley. Es wurde bisher 25.000 Mal verkauft. Man veröffentlichte die Debütalben der deutschen Elektronik-Popband Paula (Hit: „Als Es Passierte“) und der Easy Listening-Retro-Popband Die Moulinettes, beides Veröffentlichungen, die vom Musikexpress unter die 30 besten deutschen Alben der letzten zehn Jahre gewählt wurden.
Marinas neues Projekt ist das Comeback-Album (Die Verschwörung) der Avantgarde-Pop-Pioniere Der Plan, das im Juni erscheint. Der ausgekoppelte Track „Hohe Kante“ befindet sich bereits auf dem Jubiläums-Sampler. Der Text ist ein treffendes Credo dieser Ära: „Wir haben kein Geld für die Rente gespart, wir haben auch gar nichts aufbewahrt. Wir haben nichts auf die hohe Kante gelegt, drum werden wir morgen weggefegt“. Auf dem Sampler befinden sich weiterhin (unveröffentlichte) Stücke von Die Zimmermänner, Edwyn Collins, Tahiti 80, Kim Fowley und Van Dyke Parks. Es gibt was zu entdecken!