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Archiv-Artikel

Den Protest am Leben erhalten

150 Menschen kamen am Dienstagabend ins DGB-Haus, um sich über eine neue Gruppierung links von der SPD zu streiten. Sie sind links, sie sind wütend, sie sind ungeduldig – und nur in einem einig: die rot-grüne Bundespolitik braucht Paroli

Bremen taz ■ Der Linke ist ja immer ein Individualist. Nicht nur einer, der einer Partei angehört oder einer Überzeugung – sondern einer, der das gerne mit vielen Worten erklärt und das Ganze illustriert mit zahlreichen Erkenntnissen und Erfahrungen, die er im Laufe seines meist nicht ganz kurzen Lebens gesammelt hat. Seine wortreich zur Schau gestellte Einzigartigkeit macht den Linken zwar oft sympathisch – aber oft auch ungeheuer anstrengend. Wenn dann noch viele Linke auf einmal zusammenkommen, dann kann es schon eine Weile dauern, bis klar wird, warum sie nun eigentlich zusammengekommen sind. Und da können die Veranstalter meist gar nichts für. Er sehe ja ein, dass Einzelschicksale was Schlimmes seien, aber um die gehe es nunmal nicht, erklärte einer von rund 150 Versammelten am Dienstagabend, und fuhr fort: „Ich habe 38 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt, bin 59 Jahre alt und seit gestern Sozialhilfeempfänger.“ Die Initiatoren der „Wahlalternative 2006“ und der „Initiative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ hatten ins DGB-Haus geladen, um zu sehen, was die nordwestdeutsche Tiefebene so hergibt an Unterstützertum für einen konzertierten bundesweiten Protest gegen Sozialabbau, Agenda 2010 und neoliberale Politik. Sie gibt her: rund 150 Menschen, Männer in der Überzahl, Ältere auch – aber nicht in der Übermacht.

Die Veranstalter des Abends, der Hamburger Sozialismus-Redakteur Joachim Bischoff, der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Axel Troost und der einstige PDS-Traditionalist Uwe Hiksch, hatten immer wieder betont, dass es vor allem darum gehe, den Protest gegen den Sozialabbau am Laufen zu halten und zu organisieren. Dass es für die Frage nach einer Parteigründung noch viel zu früh sei. Dass es sinnvoll sei, sich statt auf eine Globalablehnung rot-grüner Politik auf bestimmte Punkte zu konzentrieren wie die Zumutbarkeitsregelung in Hartz IV oder den Trend zur Arbeitszeitverlängerung und hier überzeugende Konzepte zu entwickeln.

Darum aber ging es an diesem Abend überhaupt nicht. „Erstmal fordere ich: Hartz und die Agenda 2010 müssen komplett wech“, sagte einer. „Nach Berlin fahrend, den Knüppel ergreifen und sie davon jagen“, forderte ein anderer. „Die ganze Ökologie und feministische Diskussion fehlt mir“, erklärte die nächste. „Was organisieren die Gewerkschaften? Auch keinen Widerstand“, sagte eine Gewerkschafterin und fand, man müsse überlegen, „ob eine sozialistische Gesellschaft nicht doch die bessere Alternative ist.“ Worauf ein Gewerkschafter erwiderte: „Ich würde mir wünschen, dass man in den Betrieben über uns schimpft, weil wir Protest bremsen.“ Tatsächlich müsse er Arbeitnehmer tagtäglich überzeugen, dass die 42-Stunden-Woche Unsinn sei. Und die Sozialistische Alternative hatte schon ein kleines Thesenpapier vorbereitet, das sie jetzt gerade mal verteilen werde.

Dass die SPD die Wahlalternative komplett abgeschrieben habe, sagte einer, das berge doch eine Chance. Man solle sich nicht über die Frage „Partei oder nicht“ streiten, sondern den Protest am Laufen halten: „Die deutsche Arbeiterbewegung hat auch 20 Jahre gebraucht, bis sie aus dem Mustopf kam.“ Und: „Die SPD hat 50 Jahre gebraucht, bis sie versumpft ist. Diese 50 Jahre hätte ich ganze gerne noch vor mir.“

Von den Bremer Roten und Grünen hat sich übrigens keiner im DGB-Haus blicken lassen – obwohl es auch ihre Wähler waren, die da ihrer Wut Luft machten. Was von dem bunten Abend bleibt: Der Widerstand soll weiter köcheln, in regionalen Arbeitsgruppen. Ach ja, und eine Frage: Warum haben Linke so oft Vollbärte? Susanne Gieffers