Der Krieg und die Erfahrung

Die Essayistin und Romanautorin Susan Sontag erhält dieses Jahr den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. In ihrem neuen Buch denkt sie über die Aufmerksamkeit für das Leiden anderer nach

von HARALD FRICKE

Sie hat sich ständig eingemischt. Mit einem Filmprojekt über den Jom-Kippur-Krieg, mit einer Inszenierung von „Warten auf Godot“ in Sarajevo, mit Solidarnoten an verfolgte Schriftsteller wie Faradsch Sarkuhi, Salman Rushdie und Taslima Nasrin. Wo immer in den 90er-Jahren Engagement gefragt war, konnte man sich auf ihre Stimme verlassen. Schon deshalb ist die Entscheidung, den Friedenspreis des deutschen Buchhandels an Susan Sontag zu vergeben, richtig.

Doch die Konflikte haben an Eindeutigkeit eingebüßt. Eine radikale, fundamentale Opposition gegen den Einmarsch in Afghanistan oder die Absage an den Irakkrieg waren zuletzt zwischen die Lager geraten: Was schafft die Legitimität für militärische Interventionen – der Besitz von Massenvernichtungswaffen? Der Verstoß gegen Menschenrechte? Prävention vor terroristischen Akten? Oder das Verteidigungsrecht der USA nach dem 11. September? Auf diese Fragen wusste Sontag keine klare Antwort, natürlich galt ihre Anteilnahme auch den Opfern der WTC-Attentate. Aber die Haltung der mittlerweile 70-jährigen Essayistin und Schriftstellerin blieb fest: Weder in Afghanistan noch im Irak konnte es für sie einen „gerechten Krieg“ geben. Damit stand sie auf der anderen Seite zu einem Großteil der US-amerikanischen Intellektuellen.

Auch für diese vehemente Gegnerschaft zur Linie der Bush-Administration mag Sontag den Friedenspreis verdient haben. Stärker als jedes Bekenntnis ist bei ihr allerdings die Analyse: So hat sie im März dieses Jahres mit „Regarding the Pain of Others“ ein Buch vorgelegt, in dem sie aufzeigt, wie eine durch Medien geprägte Wahrnehmung von Kriegen immer stärker von deren Wirklichkeit abrückt. Die Berichterstattung, wie sie etwa von Fotografen geleistet wird, läuft für Sontag heute Gefahr, bloß noch beliebige Momente des Grauens abzubilden, ohne diese Images in einen politischen oder gar gesellschaftlichen Rahmen zu stellen. Bilder vom Krieg seien nichts anderes als Produkte dieses Krieges, und jeder darüber hinausführenden Erfahrung entzogen: Es gibt kein „Wir“, das sich für den Betrachter konstituiert, wenn er die Qualen anderer Menschen auf Fotos sieht.

Ähnlich hatte bereits Walter Benjamin in Bezug auf den Ersten Weltkrieg einen totalen Erfahrungsverlust beklagt. Sontag führt diese Klage nun anhand einer medialen Öffentlichkeit fort, in der die Abbildung von Tod und Verstümmelung auch das Versagen einer humanen Politik anzeigt. Trotzdem besteht sie darauf, dass der Betrachter sich bei allem Schock nicht davon ablenken lässt, zu fragen, welche Bilder, welche Grausamkeiten und welche Toten nicht gezeigt werden. Für diese Aufmerksamkeit bekommt sie zu Recht den Preis.