: Schizophrene Gesellschaft
betr.: „Sprayern droht Strafverschärfung“, taz vom 7. 6. 03
Die Haltung unserer Gesellschaft zu Graffitis und Sprayern scheint modellhaft die Therapiebedürftigkeit dieser schizophrenen Gesellschaft zu zeigen: Einerseits will man ja Globalisierung und global sein um fast jeden Preis. Wenn andererseits eine Welle aus der globalen (Jugend-)Kultur hierher schwappt, reagiert man hysterisch mit Abschottung, Verfolgung und Wegsperren.
Besonders schizophren verhält sich die Deutsche Bahn: Sie bringt Lokomotiven in den Verkehr, die direkt graffitigeziert sind oder deren Werbebemalung völlig auf der Graffiti-Ästhetik basiert. Weiterhin vertreibt die DB HipHop-CDs, führt sich andererseits aber als der unnachsichtigste Verfolger der Sprayerszene auf, die ja ebenso Teil der globalen HipHop-Kultur ist.
Etwas mehr Gelassenheit würde allseitig zu mehr Gesundung führen: zu größerer Buntheit grauer Betonstadtwelten, in der Provinz wie in den Metropolen zu einem Blick in die Welt hinaus, zu weniger Kriminalisierung und mehr Anerkennung eines vielleicht wacheren Teiles der Jugend, für die Jugend aber auch zu einer Befreigung von ihrer teilweisen (manchmal suchtartigen?) Fixierung auf Verbot, Verfolgung und Risiko, nach vielem anderem mehr nicht zuletzt auch zu einer Entlastung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes. Vor der strafrechtlichen Bewertung sollte man den internen Verhaltenskodex der Sprayerszene berücksichtigen (der mir in Regensburg recht wirksam scheint) und an ihn appellieren. Dann und nach Überwindung der Betonmauern in den Köpfen ist die strafrechtliche Bewertung wohl nicht so problematisch: Sprayen auf denkmalgeschützten und diesen gleichwertigen historischen Gebäuden und Einzelteilen wird verfolgt, ebenso auf Privathäusern im Wohnbereich, hier aber nur auf Antrag. Sprayen an Gebäuden und Einzelteilen in allen anderen Bereichen ist straffrei, sofern es nicht behindernd wirkt.
FRANZ SCHUHWERK, Regensburg
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