Nur Größe zählt

„Die Super-Amerikaner“, ein Buch über Texas von John Bainbridge

VON MARION LÜHE

Unter Amerikanern gehört es fast schon zum guten Ton, über Texas zu spotten. Das hängt zunächst mit der vergleichsweisen historischen Unreife des zweitgrößten Bundesstaates zusammen – als das Harvard College in Boston seinen zweihundertsten Geburtstag feierte, schoss man in der Gegend von Dallas noch auf Indianer. Auch mag Neid auf den Reichtum und das unerschütterliche Selbstbewusstsein seiner Bewohner eine gewisse Rolle spielen. Hinter der Feindseligkeit anderer Regionen der USA gegen Texas verbirgt sich nach Meinung John Bainbridges indes auch ein nationales Identitätsproblem: In vielerlei Hinsicht sei das Land „ein Spiegel, in dem sich Amerikaner wiedererkennen; nicht in tatsächlicher Größe, sondern wie in einem Zerrspiegel, überlebensgroß“. Wenn Texas also als der Inbegriff Amerikas gelten könne, so seien seine Millionäre der Inbegriff von Texas: „Sie sind die Super-Amerikaner und bilden eine kleine, eigene Zivilisation – die Vereinigten Staaten als Mikrokosmos.“

Neun Monate verbrachte der Autor und Journalist, der 1992 fast achtzigjährig starb, in Texas, um für seine 1961 im New Yorker erstmals veröffentlichten Reportagen über die „Super-Amerikaner“ zu recherchieren. Mit dem präzisen Blick eines Ethnologen beschreibt er darin die Sitten und Gebräuche dieser fremden Spezies, von der Kleidung über die kulinarischen Vorlieben bis zum Wohnstil, von den Ölgeschäften bis zur Freizeitgestaltung, von den politischen Einstellungen bis zu religiösen Kulthandlungen. In nüchternem, fast wissenschaftlichem Ton berichtet er über Absurditäten des texanischen Millionärsalltags: über gigantische Cocktailpartys, Häuser vom Umfang eines Footballfeldes, die allgegenwärtigen Klimaanlagen, die eine „an ständiges Halbdunkel gewohnte Menschengattung“ hervorgebracht hätten, über die latente Gewaltbereitschaft und Verbreitung von Waffen, die absolute Herrschaft des Autos („Die größte Entfernung, die ein Texaner heute regelmäßig zu Fuß zurücklegt, ist die zwischen Haus und Garage“) und einen Fahrstil, der sogar noch den der Deutschen an Aggressivität übertrifft.

Neben einer „Art umtriebiger Lockerheit“ und gnadenlosem Optimismus ist es vor allem der ausgeprägte Hang zur Gigantomanie, der Texaner auszeichnet. Die Leidenschaft für schiere Größe, den Amerikanern an sich schon nicht fremd, haben Texaner nach Bainbridges Beobachtung ins Extreme getrieben: „Größe ist das Maß der Qualität für schlichtweg alles. Nichts lohnt die Aufmerksamkeit, wenn es nicht das Größte, Höchste oder das Allermeiste darstellt.“ Mit Genugtuung wiesen Texaner etwa darauf hin, dass ihr Bundesstaat die meisten Farmen, die meisten Kirchen pro Kopf, die größte Messe, die meisten Banken, die meisten Footballteams und die meisten Feiertage habe. Selbst auf die höchste Zahl an Verkehrstoten sei man noch stolz, denn – so ein vom Autor genussvoll zitierter Leitartikel aus den Dallas News – dahinter verberge sich ein Hinweis auf echten Amerikanismus, auf jene „menschlichen Eigenschaften, die Amerika stark gemacht haben: Risikobereitschaft, Antriebskraft und ungezügelter Individualismus“. Ein weiteres Feld, auf dem die Texaner ihre Landsleute übertreffen, ist das „Nicht-Lesen“. Und dafür sei nicht etwa der exzessive Fernsehkonsum verantwortlich: „Vor dem Fernsehen war es das Radio, und davor das Grammophon, Kartenspielen, Schnitzen – sie lieben einfach alles außer der relativ schwierigen Disziplin des Lesens.“

Bei aller zur Schau getragenen Sachlichkeit ist Bainbridges Freude an Polemik und Satire unverkennbar. Obwohl er sich bewusst ist, dass „Humor in beinahe jeder Form und vor allem Satire ein Luxus ist, den sich nur zivilisierte Gesellschaften leisten können, die sich ihrer Qualitäten sicher fühlen“, übt er sich fleißig in subtiler, feinsinniger Kritik. Statt sich wortreich in Beschimpfungen über den stupid white man zu ergehen, lässt der distinguierte New Yorker Gentleman lieber Umfragen und Statistiken, Zeitungsartikel und Reiseberichte sprechen. Lustvoll schwelgt er in Anekdoten und Partygeschwätz, lauscht den Gesprächen über Bridge, Pferderennen und Entenjagd. Keine Fingerschale, kein Zierdeckchen entgeht seinem scharfen Blick, und noch aus den Werbesprüchen des örtlichen Kaufhauses vermag er tiefere Erkenntnisse über den texanischen Way of Life zu ziehen. Ob er über den notorischen Konservativismus schreibt, über den ausgeprägten Männlichkeitskult oder die „Frömmigkeits-Explosion“ in dem südwestlichen Bundesstaat, in dem es ebenso viele Kirchen wie Tankstellen gibt und Bücher wie „Beten Sie Ihr Übergewicht weg“ zu den Spitzentiteln gehören – stets wahrt Bainbridge einen kühlen Kopf und höfliche Distanz.

So hart er mit den „Super-Amerikanern“, deren „kulturelle Konditionierung schon während der Pubertät einsetzt“, ins Gericht geht, zu einer undifferenzierten Texas-Schelte lässt sich Bainbrigde nicht hinreißen. Gegen den Vorwurf des „Gefühlsegalitarismus“ etwa, denen sich Amerikaner im Allgemeinen und „Super-Amerikaner“ im Besonderen ausgesetzt sehen, verteidigt er texanische Höflichkeit und Leichtigkeit im Umgang mit Fremden. Die alte europäische Kritik, Amerikaner hätten hunderte von Bekannten, aber keine wahren Freunde, lässt er zwar gelten. Doch empfindet er die ausgeprägte Geschmeidigkeit in der Konversation, die Großzügigkeit und Gastfreundschaft der Texaner durchaus als etwas Angenehmes. Statt in unkritischer Weise europäische Klischees und Stereotype des Amerikanischen zu bedienen, verlässt sich der Journalist lieber auf seine Beobachtungsgabe und seinen brillanten Sprachwitz.

Mit jenen von Henry James als „empfindsame Touristen“ bezeichneten Reisenden, die von einem unbekannten Ort immer schon ein fertiges Bild im Kopf haben und mit ihrem „leichten Gepäck der Vorurteile“ durch die Welt ziehen, hat Bainbridge nichts gemein. Hinter seinem Spott spürt man immer auch die Faszination und den Zauber, die der „fremde Stern Texas“ auf ihn ausübt. Staunend blickt er auf diese „Bühne, auf der das amerikanische Drama mit schönen Worten und voller Schwung in all seiner Exzentrik so dargeboten wird, als wäre es das allererste Mal“. Zum bevorstehenden Präsidentschaftswahlkampf unter texanischer Beteiligung liefern Bainbridges Geschichten aus dem Wilden Westen auch im Abstand von vierzig Jahren noch einen geistreichen, höchst amüsanten Kommentar.

John Bainbridge: „Die Super-Amerikaner. Fremder Stern Texas“. Herausgegeben und aus dem Englischen übersetzt von Bernd Brunner. Transit Verlag, Berlin 2004, 180 Seiten, 16,80 Euro