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Archiv-Artikel

Sprache der Paradoxien

Stummelsätze in Endlosschleifen: Der junge österreichische Dramatiker Ewald Palmetshofer erobert bereits seit über einem Jahr die deutschsprachigen Bühnen. Dabei wagt er sich an die ganz großen Fragen und probt in seinen Stücken beharrlich den Sprachaufstand gegen eine faule Welt

VON ANNE PETER

Hockt die Mutter mit der Schwiegertochter im Bett und schlägt vor, ihrem Saubär von Sohn die Eier abzuschneiden: „Dann war a Ruah mit seiner Huararei! / Mit seine Schläg!“ – Diese drastischen Vorschläge zur Frauenbefreiung stammen aus Ewald Palmetshofers Dramen-Erstling, „sauschneid. ein mütterspiel“, ein Familien-Horrorstück in österreichischer Mundart. Auch wenn der Dialekt in den Folgetexten sehr zurückgenommen wird, es bleibt das sprachliche Eigentümliche, ebenso wie die tiefschwarze Familienskepsis und die Radikalität der Figuren in ihren Ausbruchbemühungen.

So auch in „hamlet ist tot. keine schwerkraft“, mit dem der 1978 in einem 800-Seelen-Dorf in Oberösterreich geborene Palmetshofer sein vielbeachtetes Bühnendebüt feierte. Die Handlung verknäult mehrere Zeitebenen, zwischen denen sich die kleinen bis großen Ungeheuerlichkeiten (Ehebruch, Inzest, Mord) erst langsam zu einem abgründigen Schauerbild zusammenpuzzeln. Das Geschwisterpaar Dani und Mani ist anlässlich des 95. Geburtstages der Oma bei Papa und Mama zu Besuch, wobei Letztere sich dauernd die Ermordung der sterbensunwilligen Alten ausmalt. Bei dieser Gelegenheit schauen Dani und Mani auch noch auf der Beerdigung ihres alten Freundes Hannes vorbei, wo sie zufällig Bine und Oli treffen, mit denen sie früher mal ganz dicke waren.

Felicitas Brucker, die „hamlet ist tot. keine schwerkraft“ zur Uraufführung am Schauspielhaus Wien im November 2007 in einer Art Spießbürger-Filmset semirealistisch aufbereitete, liefert eine erste Spielvermessung dieses hochkomplexen Theaterstücks. Mit einem einzigen Dialog umreißt Palmetshofer darin die Kommunikationskaputtheit, an der sich andere ein ganzes Drama lang abarbeiten: verlogene Floskelkaskaden, die erscheinen, als seien sie, inklusive aller Verlegenheitsphrasen und Satzabreißer, den Leuten vom Munde weggeschrieben. Doch indem Palmetshofer das Elliptische zum Stilprinzip erhebt und die Stummelsätze in Endlosschleifen tautologisch hochschraubt, entsteht eine Art Kunstplappersprache. Beiläufig fällt dann ein Reizwort, das ein Puzzleteil der Geschichte rausschleudert oder den Text ins Symbolische öffnet.

Oder es schlägt zwischen den Dialogen eines dieser reflexionszersplitternden Monologmassive ein. Als passiere den Figuren das Denken irgendwie, sprudeln sie in mäandernden Endlossätzen Erkenntnisbrocken hervor. Dani wütet gegen die „gottverdammte Befindlichkeitsscheiße“, die „drecksverwichste Liebe“ zu Oli, von der sie mal gedacht hat, „das ist deine Revolution, dein Hiroshima, dein 9/11, deine Wiedergeburt, Wende, Taufe“. Gott ist tot und „der Himmel ist eine Maschine“, verkündet hingegen Mani. „Wenn dir der Himmel eine Zahl gibt, die Maschine, dann rechnet man mit dir, dann kann man mit dir rechnen, dann spielst du eine Rolle in der allgemeinen Rechnung der gegenwärtigen Situation, in der Ökonomie der Zukunft, im globalen Rechnungswesen der Gegenwart“. Das Theoretisieren über diese undurchschaubar ungerechte Himmels-Maschine verklagt eine prekäre Weltordnung, in der ein Großteil der Menschheit bloß „ein Karzinom im Verdauungstrakt der Welt“ ist.

Manis Denkblöcke haben durchaus etwas von der Gedankenschwere des titelgebenden Dänenprinzen, dessen Name in „hamlet ist tot“ kein einziges Mal fällt. Und Dani ahnt: „da ist doch was faul hier.“ Die faule Welt ist also geblieben, bloß zeigen sich den Figuren keine Wege mehr, sie einzurichten – das ist das Palmetshofer-Thema.

Auch in seinen anderen Stücken: in „wohnen. unter glas“ über einen Mann und zwei Frauen, die ehemals „ein bisschen links“ in einer WG zusammenlebten, jetzt zu einem Beziehungs-Auffrischtreffen zusammenkommen und verzweifelt noch einen Glückszipfel, einen Höhepunkt zu erwischen versuchen. Oder im bisher unaufgeführten Stück „helden“, in dem die Kinder ihre furchtbar netten, furchtbar nervigen, furchtbar verlogenen Eltern im Wellness-Hotel in die Luft jagen.

Binnen einem Jahr wurde Palmetshofer zu den wichtigen Dramatiker-Festivals in Mülheim und Heidelberg eingeladen und in der Kritikerumfrage von Theater heute zum Nachwuchsdramatiker 2008 erkoren. Man hat es hier nicht nur mit dem sprachlich wohl eigensinnigsten Jungdramatiker zu tun, sondern eben auch mit einem eminent politischen Kopf, der sich nicht mit der Faulheit der Welt abfindet.

Dabei begnügt sich Palmetshofer, der sich in Wien von Germanistik und Theaterwissenschaft zu katholischer Theologie und Philosophie studiert hat, nicht mit oberflächlichen Botschaften und dem bloßen Ankratzen von Problemfeldern. Beharrlich macht er sich an die Durchdenkarbeit auf dem offenen Feld der ganz großen Fragen. Einer, der von sich sagt, dass er ein Stück schreibe, wenn er mit Theorie nicht weiterkomme.

So findet Palmetshofer eine Sprache für die Paradoxien seiner Generation. Für die Twenty-and-Thirty-Somethings, die von der Systempleite überzeugt sind und endlich rauswollen „aus dieser emotionalen, analogen Umlaufbahn um mich selber“, aber nicht wissen, wie. Visionsverlorene, Zukunftsgeängstigte, handlungsohnmächtige Typen, die unter einem leeren Himmel überm sozialen Abgrund baumeln – Wutbomben, die immerzu glauben, dass es ihnen gleich „den Kopf wegsprengt“.

Die Uraufführung seines jüngsten Stückes ist für März 2009 geplant, abermals am Schauspielhaus Wien. Einen tollen Titel hat es bereits: „faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete“. Auf dass uns auch dies im Kopfe stecken bleibe.

Nächste Vorstellungen: „hamlet ist tot“ am Nationaltheater Mannheim, am 8., 11., 15., 20. 1. 2009 und am Schauspiel Hannover am 23. und 27. 1. „wohnen unter glas“ im April in Hamburg „helden“ im März im Theater an der Ruhr in Mülheim