: „Das Drei-Liter-Auto ist faktisch ein Sechs-Liter Auto“, sagt Jochen Luhmann
Die Grünen debattieren über ihre Verkehrspolitik. Glaubwürdig sind sie nur, wenn ihre Konzepte besser werden
taz: Herr Luhmann, die Grünen debattieren darüber, ob es in der grünen Verkehrspolitik eine Lebenslüge gibt. Nach dem Motto: Weniger Verkehr fordern – und danach den Flug buchen. Sind grüne Politiker, die viel fliegen, glaubwürdig?
Jochen Luhmann: Ja. Ich bin Ökonom und sehe den Wettbewerb, in dem auch Politiker stehen. Sie müssen erfolgreich sein, sonst werden sie nicht gewählt. Deshalb müssenj auch grüne Politiker viel reisen können. Ändern könnte man dies nur, wenn man ein Kartell bildet und sich alle danach richten. Das ist so ähnlich wie bei der Korruption in der Bauwirtschaft. Die wird auch nicht überwunden, wenn sich Einzelne verweigern, sondern nur wenn es eine gemeinsame Selbstverpflichtung gibt. Das ist im Verkehr genauso. Man kann das individuelle Verhalten nur kollektiv ändern.
Aber müssten nicht gerade die Grünen Vorbild sein wollen?
Nicht die Grünen-Politiker, aber natürlich ihre Wähler. Die haben ja die Möglichkeiten zum Teil aus dem Wettbewerbssystem auszusteigen. Die Leistungsträger nicht. Ich sehe hier kein Glaubwürdigkeitsproblem.
Sie verlangen viel von den grünen Wählern: Die sollen darauf verzichten, was die grünen Politikern tun. Warum soll ich dann grün wählen?
Das sollen Sie, wenn diese grünen Politiker überzeugende Konzepte für eine Änderung des kollektiven Verhaltens haben.
Und – überzeugt Sie das verkehrspolitische Konzept von Albert Schmidt, Michaele Hustedt und Fritz Kuhn?
Es enthält die richtigen Fragen. Dennoch habe ich einen kritischen Brief an Albert Schmidt geschickt. Denn in dem Papier wird gefordert, dass der durchschnittliche Spritverbrauch auf 100 Kilometer bis 2010 auf fünf Liter und bis 2015 auf drei Liter vermindert werden soll – also um 60 Prozent. Insgesamt soll die Kraftstoffeinsparung aber nur 15 Prozentpunkte zur Verminderung des Verbrauchs erdölbasierter Kraftstoffe im Straßenverkehr beitragen. Da stimmt was in der Rechnung nicht. Die Ausgangsbasis ist auch nicht korrekt.
Wieso?
Nach Schätzungen unseres Instituts entspricht das Fünf-Liter-Auto faktisch einem Acht-Liter Auto und das Drei-Liter-Auto einem Sechs-Liter-Auto.
Woher kommt die Drei-Liter-Lücke?
Zurzeit wird die Klimalast eines Autos mit einem Verfahren gemessen, dass nur den Spritverbrauch berücksichtigt, der für die Fahrleistung nötig ist. Aber heute ist das Auto nicht nur zum Fahren da, sondern Spaßprodukt. Deshalb bauen wir Teile ein, die wir nicht zur Beförderung brauchen, die aber zusätzlichen Energie kosten und Gewicht erzeugen. Außerdem stößt das Auto nicht nur CO2 aus, sondern auch weitere Gase wie Lachgas vom Katalysator und fluorierte Kohlenwasserstoffe bei der Klimaanlage. Wenn man das alles zusammenzählt, kommt man auf drei Liter Mehrverbrauch.
Statistische Daten kann man korrigieren. Was halten Sie denn generell von der in dem Papier vorgeschlagenen Abkehr von der Verkehrswende?
Ich finde gut, dass es nun diese Debatte gibt – denn verkehrspolitisch liegt viel im Argen. Hochproblematisch ist aber, dass Mobilität als Bewegungsfreiheit definiert wird. Die übliche Definition ist Erreichbarkeit. Wenn man das gleichsetzt, nimmt man sich schon begrifflich die Möglichkeit, durch entsprechende Infrastrukturpolitik Verkehr zu vermeiden.
Was fehlt noch?
Das Anwachsen des Verkehrs in den Entwicklungsländern und die damit zusammenhängenden Umweltprobleme. Die Autoren sehen dieses Problem zwar, ziehen aber keine Konsequenzen daraus. Nur dafür zu sorgen, dass Deutschland sauber wird, reicht nicht. Insgesamt fehlt mir die Einsicht, dass diese Probleme nur durch die Einrichtung von Institutionen gelöst werden können. Denn das ist Politik.
Woran denken Sie dabei?
Eine wesentliche Frage, die ausgeblendet wird, ist der Straßengüterverkehr. Die Institution, die dafür geschaffen wird, ist die europäische Maut-Richtlinie. Wenn diese so bleibt, wie sie vorgeschlagen ist, wird man externe Kosten wie Lärm und Belastung der Biosphäre dem Verkehr nicht anrechnen können. Damit wird die große Möglichkeit verspielt, Verkehr entsprechend der Kosten, die er verursacht, zu steuern. Das spielt in dem grünen Papier überhaupt keine Rolle.
Sie üben viel Kritik an dem Papier. Sind die Grünen aufs verkehrspolitische Abstellgleis geraten?
Nein, es ist ein Diskussionspapier. Sie sind zu loben, dass sie überhaupt in die Debatte gehen. Auch wenn das Konzept nicht zu Ende gedacht ist. INTERVIEW:
STEPHAN KOSCH