Zwischen Schoah und Nahost

Das Abschlusskommuniqué warnt nur pauschal vor neuen Formen des Antisemitismus

BERLIN taz ■ Peleg Reshef von der „World Union of Jewish Students“ blieb skeptisch: „Das ist wieder so eine Konferenz mit vielen Lippenbekenntnissen und Stellungnahmen gegen den Antisemitismus“, sagte der NGO-Vertreter. Zur zweitägigen Antisemitismuskonferenz der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) hatte die Bundesregierung am Mittwoch rund 600 Delegierte und 350 NGO-Vertreter aus 55 Ländern ins Berliner Außenministerium eingeladen, um gemeinsame europäische Wege im Kampf gegen den modernen Judenhass zu diskutieren. In ihrem Abschlusskommuniqué, der „Berliner Erklärung“, hielten die Staaten fest, dass der Antisemitismus „nach seiner verheerendsten Ausprägung im Holocaust neue Formen und Ausdrucksmittel angenommen hat“. Die OSZE-Staaten vereinbarten, „verlässliche Informationen über antisemitische Straftaten“ bei dem Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte“ (BDIMR) in Warschau zu registrieren und internationale Bildungsprogramme ins Werk zu setzen.

Doch die Gemeinplätze der Erklärung spiegeln wider, dass die Delegierten über den gemeinsamen historischen Bezugspunkt der Schoah hinaus keinen Konsens über die neueren Ausprägungen des Antisemitismus erzielten. Vor allem die jungen Staaten Ost- und Südosteuropas nutzten vielmehr die Gelegenheit, mit Blick auf den Weg nach Europa eine makellose Weste zu präsentieren. „Außer den Dänen waren die Albaner das einzige Volk in Europa, das die gesamte jüdische Gemeinschaft seines Landes gerettet hat“, lobte der Botschafter Zef Mazi die multiethnische Eintracht seines Landes im Zweiten Weltkrieg. Als ein bulgarischer Vertreter den Nobelpreis für sein Land forderte, weil Bulgarien sich damals ebenso schützend vor die jüdischen Landsleute gestellt hatte, wurde es dem Diskussionsleiter Yehuda Bauer dann doch zu viel: „Wir sind hier doch nicht das Nobelpreiskomitee“, schnitt er das Thema ab. Obwohl die offiziellen Kommuniqués der OSZE-Mitgliedsländer Akteure des Antisemitismus selten konkret nannten, waren sich die Teilnehmer darin einig, dass Antisemitismus eine aktuelle Gefahr darstelle.

Salomonisch zog sich der deutsche Außenminister aus der Affäre: Antisemitismus, so Joschka Fischer, bleibe für die Zivilgesellschaft ein vordringliches Thema, „solange sich jüdische Menschen, Jüdinnen und Juden, in unseren Ländern nicht sicher, nicht wirklich zu Hause fühlen“. Von wem die konkrete Bedrohung ausgeht, ließ er – ganz der Diplomat – offen.

Das Ergebnis der Seminare: Die Schoah ist zur Deutung der politischen Gegenwart nicht mehr ausreichend. Zunehmend tritt der Nahostkonflikt als Faktor im Antisemitismusdiskurs in Erscheinung. Der sich auf der Konferenz etablierende Begriff eines „neuen“ Antisemitismus blieb allerdings ungeklärt. Darunter werden jene Varianten des Antisemitismus verstanden, die Israels Palästinapolitik pauschal kritisieren und nicht mehr aus klassischen nationalistischen Kreisen, sondern vor allem aus dem islamistischen Umfeld, aber auch aus Teilen der politischen Linken stammen. Deutliche Worte fand dafür erneut der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Edgar Bronfman: „Europa hat sich größtenteils auf die Seite der Palästinenser geschlagen.“ Der Amerikaner hatte sich bereits im Januar mit der EU angelegt und ihr vorgeworfen, einen wachsenden Antisemitismus zu verschleiern und durch einseitige Israelkritik sogar zu befördern. „In meinem Land ist es sicher, eine Kippa zu tragen oder in die Synagoge zu gehen. Ich hoffe, dass das auch in Europa einmal der Fall sein wird“, sagte Bronfman nun in Berlin. Eine Sicht, die auch US-Außenminister Colin Powell teilte: „Amerika steht für die unverhandelbaren Werte der Menschenwürde.“ Doch trotz lebhaften Beifalls für Powell, seine Deutung erwies sich als nicht konsensfähig.JAN-HENDRIK WULF