: Im Hungerstreik für die Pressefreiheit
Ali Lmrabet, Herausgeber der Satiremagazine „Demain“ und „Duma“, wurde in Marokko zu einer Haftstrafe verurteilt
Wer Ali Lmrabet kennt, dem fällt es schwer zu glauben, dass er es ist, der im Rollstuhl vor den Richter in Rabat geschoben wird. Der unrasierte, völlig ausgezehrte Mann bekommt kein Wort heraus. Er nickt oder schüttelt den Kopf, mehr kann der 44-Jährige nicht mehr. Der Hungerstreik, den Lmrabet seit dem 6. Mai durchhält, hat Spuren hinterlassen. 22 Kilo hat er verloren. Die Ärzte fürchten, sein Herz könnte in jedem Augenblick versagen.
Lmrabet ist Herausgeber zweier marokkanischer Satiremagazine, des französischsprachigen Demain und dessen arabophonen Version Duman. Sein Vergehen: Er nahm den berufsethischen Imperativ von Kurt Tucholsky, nach dem Satire alles darf, zu wörtlich. Und das in einem Land, in dem die Oberen weder etwas von Spaß noch von Freiheit verstehen. Das war unter Hassan II. so und hat sich auch unter dem Nachfolger, dem jungen Mohammed VI. nicht geändert.
Zu vier Jahren Haft und 2.000 Euro Geldstrafe wegen „Beleidigung der Person des Königs, des marokkanischen Regimes und der territorialen Einheit“ wurde Lmrabet am 21. Mai verurteilt. Am Dienstag wurde die Haftstrafe um ein Jahr verringert.
Lmrabet hatte ein Interview mit einem Intellektuellen veröffentlicht, der für die Abschaffung der Monarchie und für die Errichtung einer Republik eintritt. Zudem zeigten die Blätter eine Fotomontage, die hohe Vertreter Marokkos karikiert, denen ein Text über die monarchistische Partei und deren Finanzierung ebenso wenig gefiel wie ein Cartoon zur Sklavenhaltung.
Lmrabet wurde im nordmarokkanischen Tetuan als eines von zwölf Geschwistern geboren. Sein Vater verdingte sich als Hausmeister. Seine Mutter ist eine Hausfrau, die wie so viele in Marokko weder Lesen noch Schreiben kann. Ali hatte Glück. Er erhielt ein Stipendium der jüdischen Gemeinde in Tetuan und besuchte ihre Schule. Später ging er auf das französische Gymnasium in Meknes.
Mit einem ausgezeichneten Abitur lag der Weg ins Ausland nahe. Zuerst studierte er Literaturwissenschaften an der Sorbonne in Paris und dann an verschiedenen Universitäten in Spanien. 1980, nach dem Hochschulabschluss, gelang ihm der Sprung ins marokkanische Außenministerium. Nach einer steilen Karriere wurde er 1992 zum stellvertretenden Botschafter des Königreiches in Argentinien ernannt.
1996 packte Lmrabet die Rebellion. Er wollte raus aus dem engen Korsett des offiziellen Marokkos und wandte sich dem Journalismus zu. 1998 wurde er Chefredakteur des ersten unabhängigen politischen Wochenmagazins Le Journal. Ein Jahr später gründete er seine eigene Zeitung, Demain, die er vor zwei Jahren zum Satireblatt umkrempelte.
Es ist nicht das erste Mal, dass der streitbare Journalist mit den Wächtern des Königreiches aneinander gerät. Immer wieder hagelte es Geldstrafen, Demain wurde vorübergehend geschlossen. Doch seit den Attentaten von Casablanca vor einem Monat sehen der König und seine Häscher auch im letzten bisschen Freiheit eine Gefahr. „Jetzt muss Schluss sein mit der Laschheit gegenüber denen, die die Demokratie ausnutzen, um die Autorität des Staates zu untergraben“, erklärte Mohammed VI. vor zwei Wochen in einer Rede. Keiner weiß so gut wie Ali Lmrabet, wie das gemeint war. REINER WANDLER