: „Mörderschiff“ steuert Polen an
Baldige Ankunft des niederländischen Abtreibungsschiffes löst heftige Proteste aus
WARSCHAU taz ■ Das holländische Abtreibungsschiff „Aurora“ soll in den nächsten Tagen Polens Küste ansteuern. Schon jetzt laufen Abtreibungsgegner Sturm gegen das „Mörderschiff“. Auch Primas Józef Glemp, das Oberhaupt der katholischen Kirche in Polen, fand starke Worte: Abtreibung sei nichts anderes als „Terrorismus“. In beiden Fällen würden unschuldige und wehrlose Opfer getötet, um die „Freiheit der Starken“ ausleben zu können.
Doch die Polinnen sind die Heuchelei leid. Denn das 1993 verabschiedete strenge Abtreibungsrecht hatte nur eine Folge: Die Preise für illegale Abtreibungen schnellten in die Höhe. Ein Eingriff kostet zwischen 1.000 und 2.000 Zloty (250 bis 500 Euro) – ein durchschnittliches Monatsgehalt. Offiziellen Statistiken zufolge gibt es pro Jahr nur noch 100 bis 200 Abtreibungen. Doch die „Föderation für Frauen und Familienplanung“ nennt ganz andere Zahlen: rund 200.000 illegale Abtreibungen jedes Jahr, Tendenz steigend.
In Polen können Frauen nur einen legalen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen, wenn Leben oder Gesundheit der Mutter in Gefahr sind, das Kind unheilbar krank oder nicht überlebensfähig zur Welt käme, oder wenn die Frau vergewaltigt wurde. In der Praxis aber wird auch in diesen Fällen den Frauen meist nicht geholfen – zumindest nicht in den staatlichen Kliniken. Ihnen bleibt kein anderer Weg als der in die Privatpraxen.
Die „Aurora“ kommt den Frauenorganisationen in Polen daher gerade recht. Sie soll auf ein Problem aufmerksam machen, das sich in den letzten Jahren unter dem Druck der katholischen Kirche zu einem Tabu entwickelte. Die Organisation „Woman on Waves“ wurde 1999 von der Gynäkologin Rebecca Gomberts gegründet. Sie hat von der niederländischen Regierung das Recht erhalten, auf dem Schiff Beratung zur Familienplanung durchzuführen sowie die Abtreibungspille RU 486 auszugeben. Die Bedingung ist, dass das Schiff in internationalen Gewässern bleibt – also zwölf Seemeilen von Polens Küste entfernt.
Den Frauen bläst ein stürmischer Wind ins Gesicht: So spricht die konservative Rzeczpospolita von einem „Abtreibungsfest auf der ‚Aurora‘“. Das zu verdammende Symbol der Freiheit und Gleichberechtigung der Frau sei der „luxuriöse gynäkologische Stuhl“ auf der „Aurora“. GABRIELE LESSER
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