Landesgrenze im Kreisverkehr

Ein Bruch geht durch Bruchmühlen. Ein Ortsteil liegt in Niedersachsen, der andere in NRW. 150 Jahre Trennung haben Spuren hinterlassen

Schwierigkeiten machen auch Straßennamen: Bruchmühlen leistet sich zwei Fichtenwege„Bruchmühlen ist zu groß, das passt nicht in ein Bundesland“, glaubt der niedersächsische Bürgermeister

AUS BRUCHMÜHLEN LUTZ DEBUS

Auf der Mitte der Meller Straße, der Verkehrsader des Dorfes Bruchmühlen, verläuft die Grenze zwischen dem Kreis Osnabrück und dem Kreis Herford, zwischen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Viele Jahre teilte Bruchmühlen ein ähnliches Schicksal wie Berlin, Belfast und Beirut. Zumindest Berlin ist wiedervereinigt. Wie aber erleben die Menschen in Bruchmühlen die Grenze in ihrem Dorf?

Auf den ersten Blick unterscheidet sich die Ansammlung von Häusern nicht von anderen Orten. Ein bisschen Fachwerk, ein paar Fünfziger-Jahre-Bauten, Eigenheime aus den Siebzigern. Im Ortskern steht ein Edeka, ein Aldi, eine Apotheke und ein Möbeldiscounter. Drum herum grasen friedliche rot-weiß oder schwarz-weiß gefleckte Kühe, teilnahmslos schauen sie den interessierten Besucher an. Doch dann fallen in den Gehweg gerammte Schilder ins Auge. Mit stolzen Wappen verkünden sie die Grenze zwischen den Kreisen, den Ländern. Verkünden sie auch die Grenze zwischen Welten?

Um mehr zu erfahren, lohnt ein Gespräch mit dem Gemeindehistoriker Rolf Botzet aus Rödinghausen. Besiedelt wurde dieser Landstrich im 14. Jahrhundert. Das Gut Brocmole trotzte seit 1322 dem morastigen Grund, war aber viele hundert Jahre die einzige menschliche Ansiedlung weit und breit. Erst später entschieden die Herrschenden aus Potsdam und Hannover, ihre Grenze in unmittelbarer Nachbarschaft zu Brocmole zu ziehen. Das Gut gehörte zum Königshaus Hannover, der Sumpf östlich davon zu Preußen.

Ein paar Kilometer weiter, etwas höher und trockener gelegen, gab es dann auf preußischer Seite das Dorf Westkilver. Von 1836 bis 1856 gehörte Preußen dem Deutschen Zollverein an, das Haus Hannover nicht. In dieser Zeit entwickelte sich zwischen den Orten Düingdorf und Westkilver ein blühendes Schmuggelgewerbe. Seide, Zucker, Butter, Salz und Kaffee wurden nächtens über die matschige, grüne Grenze geschafft. Aber noch gab es kein geteiltes Dorf weil es eben noch kein Dorf gab.

Dies änderte sich schlagartig mit dem Bau der Westbahn, der Eisenbahnlinie zwischen Hannover und Osnabrück im Jahre 1855. Um den Bahnhof Bruchmühlen siedelten immer mehr Handwerksbetriebe und Händler. Auf der preußischen Seite eröffnete eine Postagentur; auch damals hießen die Briefmarkenschalter so. Allerdings war die Postagentur in Bruchmühlen nicht, wie heutzutage, in einem Schreibwarenladen untergebracht, sondern residierte in einem herrschaftlich anmutenden Backsteinbau. Um die Post auf der preußischen und dem Bahnhof auf Hannoveraner Seite wurden um die Jahrhundertwende die Wiesen trocken gelegt und viele Häuser gebaut. Gründerzeit auch hier. Zuerst war die Grenze, dann kam das Dorf.

Und Grenze war immer auch in den Köpfen der Menschen. Geheiratet wurde nicht in den anderen Teil des Ortes. Dorffeste jenseits der Grenze sollte man nicht allein besuchen und in Gruppen nur dann, wenn man eine Massenschlägerei plante. So skizziert Rolf Botzet die Situation in den Zwanziger Jahren. Eine Anekdote aus dem Jahre 1959 stand sogar in der Bildzeitung. Im mittlerweile nicht mehr preußischen, sondern nordrhein-westfälischen Westkilver stand ein Haus in Flammen. Der hiesigen Freiwillige Feuerwehr ging das Wasser aus. Da traf ein Löschfahrzeug aus dem benachbarten niedersächsischen Riemsloh ein. Doch die aufgebrachten Bürger aus Westkilver ließen jene Feuerwehrleute aus Riemsloh nicht durch: „Ihr dürft unser Feuer nicht löschen!“ Bis heute wurde der denkwürdige Satz nicht dementiert.

Ein weiteres Schlaglicht auf die „guten“ nachbarschaftlichen Beziehungen: Im Zuge der kommunalen Neuordnung im Jahre 1969 wurde aus dem Amt Rödinghausen die Großgemeinde Rödinghausen. Der nordrhein-westfälische Teil von Bruchmühlen hieß fortan Westkilver. Alle Lastwagen, die von der frisch gebauten A 30 aus Amsterdam etwas nach Bruchmühlen bringen wollten, fuhren in Bruchmühlen von der Autobahn, den Hügel hoch nach Westkilver, fragten dort nach dem Weg, wendeten und fuhren zurück nach Bruchmühlen. Um dies zu verhindern, wurde der Teil von Westkilver, der eigentlich Bruchmühlen war, in Bruchmühlen umbenannt.

Sofort strengten die niedersächsischen Bruchmühlener eine Klage an. Bis vor das Landgericht in Bielefeld wurde dieser Prozess geführt. Durfte sich ein ostwestfälischer Ortsteil so nennen wie einer aus dem Osnabrücker Land? Die Richter in Bielefeld fällten ein wahrlich salomonisches Urteil. Fortan heißt der westliche Teil des Ortes Melle-Bruchmühlen, der östliche Rödinghausen-Bruchmühlen.

Inzwischen ist das Verhältnis zwischen den beiden Ethnien etwas entspannter. Rolf Botzet versichert, dass die Mitglieder der Vereine in Bruchmühlen regelrecht durchmischt seien. Noch immer bereite aber die Namensgebung gelegentlich Schwierigkeiten. So leistet sich Bruchmühlen zwei Fichtenwege, einen in Melle-Bruchmühlen und einen in Rödinghausen-Bruchmühlen; jeweils an den entgegen gesetzten Enden des Ortes. Es gibt für dieses Dorf auch zwei politische Repräsentanten, einen Ortsbürgermeister für den niedersächsischen und einen Ortsvorsteher für den westfälischen Teil. Und es gibt natürlich zwei Kreissparkassen.

Die Sommerferien in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen überschneiden sich in der Regel drei Wochen. Dies bedeutet für Familien, deren Kinder in verschiedenen Bundesländern zur Schule gehen, eine knapp kalkulierte Ferienplanung. Noch abstruser ist die Situation an manchen Feiertagen. Während Nordrhein-Westfalen seiner überwiegend katholischen Bevölkerung zu Fronleichnam und Allerheiligen frei gibt, muss der eher protestantische Niedersachse an diesen Tagen arbeiten. Und er hat seine Geschäfte geöffnet. Grenznahe Städte wie Osnabrück werden dann von kaufhungrigen Menschen aus NRW belagert. Die Ostwestfalen aus Bruchmühlen brauchen nur die Straßenseite zu wechseln, um am gesetzlichen Feiertag einkaufen zu können.

Friedhelm Zingel, Ortsbürgermeister von Melle-Bruchmühlen, sieht auch keinen Crash der Kulturen an der Grenze zwischen seinem Dorf und dem gleichnamigen Nachbarort. Früher galt NRW reicher als Niedersachsen. „Aber wir haben inzwischen reichlich aufgeholt“, sagt Zingel. Zwar habe vor kurzem auf Rödinghausener Seite ein Drive-In-Bäckerfachgeschäft eröffnet: „Doch das Handwerkerzentrum, in dem viele Betriebe, die ursprünglich aus NRW kamen, nun untergebracht sind, steht auf unserer Seite.“ Überhaupt sei die Bautätigkeit in seiner Gemeinde viel aktiver, tönt Zingel. Dies liege an den günstigeren Grundstückspreisen und den besseren Förderrichtlinien.

Dann aber schlägt Friedhelm Ziegel endgültig versöhnliche Töne an. „Der Länderkreisel hat das Ortsbild verändert. Die Grenze ist dadurch noch blasser geworden.“ Viele bürokratischen Hürden mussten genommen werden, bevor mitten auf die Landesgrenze ein Kreisverkehr gebaut werden konnte. Die Länder, Kreise und Kommunen mußten sich wegen der Finanzierung dieses Bauprojektes einigen.

Integration scheint städtebaulich möglich. Auf dem Straßenplan von Bruchmühlen erscheint der Kreisel wie ein Runder Tisch, an dem die Bruchmühlener nur noch Platz nehmen müssten. Damit nicht genug. Im Herbst soll mit dem Bau einer Brücke über den Grenzfluß Else begonnen werden. Zum Abschied erklärt Lokalpatriot Friedhelm Zingel, warum sein Dorf auf einer Landesgrenze steht: „Bruchmühlen ist so groß, das passt nicht in ein Bundesland.“