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Archiv-Artikel

„Wir empfinden den 1. Mai als Ansporn“

Für Polizeipräsident Dieter Glietsch ist der Polizeieinsatz am 1. Mai ein Erfolg, der im nächsten Jahr fortgesetzt werden soll. Wegen der Vorfälle am Rande der NPD-Demo, bei denen PDS-Politiker verletzt wurden, soll nun ermittelt werden

taz: Herr Glietsch, so viel Lob, sogar von der Opposition für den Polizeieinsatz am 1. Mai. Macht das nicht übermütig?

Dieter Glietsch: Überhaupt nicht. Es ist für uns aber eine wichtige Erfahrung, dass die Politik einhellig hinter einer für die Polizei und die Stadt wichtigen Konzeption steht. Wir empfinden es als Ansporn und es macht uns Mut, die Dinge offensiv so weiterzuentwickeln.

Haben am 1. Mai um Mitternacht in der Einsatzzentrale die Sektkorken geknallt?

Wir neigen nicht zu Überreaktionen und haben deshalb nur ein Glas Prosecco getrunken. Und das geschah auch nicht, um den 1.-Mai-Einsatz als Erfolg zu feiern, sondern weil ich Geburtstag hatte.

Es finden sich aber doch ein paar Haare in der Suppe. Bei der Gegendemonstration gegen den NPD-Aufmarsch in Lichtenberg sollen Polizisten aus Nordrhein-Westfalen (NRW) dem PDS-Abgeordneten Freke Over das Ohrläppchen eingerissen und das Rad demoliert haben.

Mir liegt eine Strafanzeige von Beamten aus NRW gegen Herrn Over vor, die am 1. Mai erstattet worden ist und in der ihm Widerstand gegen die polizeiliche Beendigung einer Straßenblockade vorgeworfen wird. Inzwischen liegt mir auch eine Strafanzeige von Herrn Over wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung im selben Zusammenhang vor. Dieser Sachverhalt wird, wie es sich gehört, im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens sorgfältig geprüft.

Es gibt noch andere Augenzeugen wie die PDS-Bundestagsabgeordnete Lötzsch, die den NRWlern ein unverhältnismäßiges Vorgehen vorwerfen.

Das widerspricht nicht nur meiner persönlichen Beobachtung bei Beginn der Maßnahme. Eine Vielzahl von Medienvertretern und Politikern verschiedener Parteien hat das Vorgehen der NRW-Kräfte mir gegenüber vor Ort in den höchsten Tönen gelobt.

Sie waren bis 2002 Chef der NRW-Polizei. Geht die Polizei dort auch so mit Abgeordneten um?

Ich kann und will den konkreten Sachverhalt nicht werten, bevor er untersucht worden ist. Natürlich kann ich nicht ausschließen, dass es im Einzelfall auch Fehlverhalten gegeben hat.

Was heißt das in Bezug auf andere Beschwerden?

Jedem Vorwurf, der konkret erhoben wird, werden wir sehr sorgfältig nachgehen.

Themenwechsel. In der Walpurgisnacht und am 1. Mai sind 158 Personen von der Polizei in einer speziellen Datei als potenzielle Unruhestifter behandelt worden und haben einen Platzverweis bekommen. Führt die Polizei jetzt so eine Art Krawalldatei?

Nein. Die Datei Platzverweise ist ausschließlich für diesen Anlass erstellt worden. Sie wird komplett gelöscht.

Neu am diesjährigen Einsatzkonzept war das Flaschen- und Parkverbot an den Brennpunkten, die Manndeckung von krawallverdächtigen Personen – was wünscht sich die Polizei noch?

Wir können uns eigentlich nur wünschen, dass sich das, was von den Kreuzbergern, dem Bezirksamt, den Migrantenverbänden an Initiativen zur Unterstützung für einen friedlichen Verlauf geleistet worden ist, noch weiterentwickeln wird. Das hat im diesem Jahr ja schon sehr gut funktioniert.

Warum waren die Migrantenkids im Gegensatz zum Vorjahr bei den Krawallen diesmal eher Mitläufer als Akteure in vorderster Front?

Ich teile diese Einschätzung. Ich glaube, dass das Werben der Veranstalter des Myfests gegen Gewalt genauso gefruchtet hat wie unsere Einsatztaktik des stufenweisen gezielten Vorgehens: Zurückhaltung, so lange es angebracht ist, differenziertes Einschreiten zunächst mit den Antikonfliktteams, auf jeden einzelnen Vorgang lageangemessen reagieren, Erkenntnisse über die Problemgruppen gewinnen und an ihnen dranbleiben. Ich glaube, dass den Jugendlichen das auch den Mut und die Fähigkeit genommen hat, randalierend durch Kreuzberg zu ziehen.

Um es salopp zu sagen: Ist das alles auf Ihrem Mist gewachsen? In NRW wurden Sie „der Fuchs“ genannt, weil Sie einen Castor zu früh auf die Schiene geschickt und damit die Anti-AKW-Bewegung geleimt haben.

Das ist eine hervorragende Gemeinschaftsleistung der Berliner Polizei, in die ich meine Vorstellungen natürlich eingebracht habe. INTERVIEW: PLUTONIA PLARRE