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Archiv-Artikel

Von Bomben und Blondinen

Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe präsentiert alle 70 von Roy Lichtenstein entworfenen Plakate. Darauf zu sehen sind erwartungsgemäß Comic-Strips entnommene Kriegsbilder – und Blondinen, die sich durchaus zur Reflexion über die Botschaft heutiger Werbeplakate eignen

VON PETRA SCHELLEN

Er war ein Chamäleon. Ein Typ, der bei anderen abkupferte und den man nie fassen konnte. Einer, der sich hinter anonymen Rasterpunkten und immer riesiger werdenden Gemälden versteckte. Nichts sollte übrig bleiben vom individuellen Malstil. Nur seinen Namen, den hat Roy Lichtenstein (1923–1997) nicht verschwiegen – jener New Yorker Pop-Art-Künstler, der eher unauffällig blieb, bis er 1961 das Malen in Rasterpunkten erfand und so massenmediales Drucken imitierte. Fortan mischte er keine Farben mehr, sondern verdichtete Punkte in den Grundfarben derart, dass – ging man weit genug weg vom Bild – der Eindruck virulenter Farbigkeit entstand. Eine Art trompe l’oeil also, das sich im selben Moment konterkariert: Hängen sie in einem Innenraum, lässt sich von den riesigen Gemälden selten genug Abstand nehmen, um dieser Täuschung tatsächlich anheim zu fallen.

Lichtenstein hat aber nicht nur gemalt. Er hat auch Plakate gestaltet, wie es nationale Stiftungen in den 60ern in den USA ganz ausdrücklich förderten, um Künstlern ein Forum zu bieten: rund 70 an der Zahl, die jetzt erstmals allesamt im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen. Die Motive entstammen Lichtensteins Blondinen- und Kriegsbildern, wie er sie Zeitungsannoncen und Comic Strips entnahm. Auch die eine oder andere Picasso-Adaption ist dabei. Was auffällt: Die nun gezeigten Blätter sind von deutlich kleinerem Format als die Originale und diesen in ihrer Wirkung nicht vergleichbar.

Trotzdem präsentiert diese Ausstellung eine Rarität, weil Künstlerplakate selten systematisch gesammelt wurden: Man vertrieb sie als limitierte Editionen oder klebte sie auf Litfaßsäulen, wo sie dann verrotteten. Gebrauchskunst eben. Und was sich Sammler nicht gleich nach Drucklegung sicherten, verschwand meist spurlos. Ein Glücksfall also, dass das Hamburger Museum über den vollständigen Satz der Lichtenstein’schen Plakate verfügt. Möglich ist das, weil ein Sammler ihn als Geschenk darbrachte.

Den Besucher interessiert indes wohl nicht so sehr die Frage nach dem Genre der gezeigten Arbeiten. Was diese Ausstellung – so unscheinbar sie in den Räumen des Museums platziert ist – vielmehr interessant macht, ist etwa die bizarre Parallele zwischen Lichtenstein und frühchristlichen Ikonen- und Heiligenmalern und überhaupt mittelalterlicher Kunst. Es ist nicht nur der schnöde Begriff der Ikone – Lichtenstein wie Warhol erhoben ja Alltägliches zur Ikone – der hier Reflexionsstoff bietet. Es ist auch das Bemühen um stilistische Anonymität, das Lichtenstein mit mittelalterlichen Künstlern teilt. Zwar malten jene im Auftrag der Kirche und Lichtenstein aus eigenem Antrieb. Sie alle mühen sich aber um Anonymität, suchten individuelle Technik zu vermeiden und stattdessen den Gegenstand exakt wiederzugeben – einschließlich aller Makel. So kopierten alle Ikonenmaler etwa die bei einer Plünderung entstandenen „Schmisse“ im Gesicht der Madonna von Tschenstochau.

Auch Lichtenstein kopierte exakt: Socken, Säulen, Gesichter und – die Rastertechnik selbst. Seine Bilder sollten aussehen wie maschinell gefertigt. Unpersönliche „Gebrauchsware“ sollten sie sein. So wie es die abgebildeten Gegenstände eben auch immer wieder waren.

Das sind sie im Prinzip auch geworden, auch wenn der Künstler die zunächst so revolutionären Rasterpunkte bald ihrerseits zur Stil-Ikone machte, zur wiedererkennbaren Masche, bei der er blieb. Eine sichtbare stilistische Veränderung fand nicht mehr statt; von den Streitigkeiten um seine fast wörtlichen Kopien von Comic-Sequenzen und seine Picasso-Adaptionen ganz zu schweigen.

Angesichts dieser Ambivalenzen lässt sich die Hamburger Ausstellung einerseits nutzen, um über Fragen von Urheberrecht und Original zu debattieren. Man kann die Schau aber auch zum Anlass nehmen, sich darüber Gedanken zu machen, ob sich die Kluft zwischen Werbung und Realität seit Lichtenstein eigentlich wesentlich verändert hat: Geradezu provozierende memmenhaft wirken ja seine Blondinen, die tränenumflort darüber sinnieren, warum ihr Traummann ohne Absage dem Date fernblieb. Oder die ganz genau zu wissen glauben, was der coole Männe in ihrem Leben fühlt. Das sieht alles sehr nach Cinderella-Komplex aus oder nach „Wenn Frauen zu sehr lieben“, und man ist ein paar Sekunden lang glücklich, dass jene Zeiten doch eigentlich längst vorbei sind.

Der zufällige Blick aus dem Fenster allerdings beendet abrupt den Traum: An fast allen renovierungsbedürftigen Gebäuden Hamburgs prangen derzeit gigantische Plakate. Auch am Museum für Kunst und Gewerbe selbst übrigens, das das so verdiente Geld dringend braucht wie alle anderen. Was die Bilder bewerben: Mode – mit körpersprachlich unbedrohlichen Frauen, mal als Häschen, mal als Vamp. Liebchen in Geschenkverpackung, die bestenfalls das selbe denken wie Lichtensteins Blondinen.

Dass sich seit den Pop-Artisten das per Werbung transportierte Frauenbild verändert habe, lässt sich nicht uneingeschränkt behaupten. Dass Lichtenstein selbst emanzipatorisch wirken wollte, wohl auch nicht. Unklar, was ihn zu seinen Motiven trieb; als Gesellschaftskritiker verstand er sich jedenfalls nicht. Die Pop-Art-Künstler bildeten vielmehr im wesentlichen ab, was sie vorfanden. Lichtenberg wie Andy Warhol präsentierten Gegenstände des Konsums, ohne zu sagen, was man denn daraus ableiten sollte.

Dass Lichtensteins zweites zentrales Thema ausgerechnet Kriegsszenen waren, die er Erwachsenen-Comics entnahm, wirkt da ein wenig wie der chauvinistische Gegenpol zu den Blondinenbildern. „Die Bildmotive“, so Lichtensteins lapidare Erklärung, „müssen spektakulär sein.“

Das sind sie durchaus. Dass er aber gerade durch seine – allenfalls leicht verfremdeten – Reproduktionen ein Klischee bediente, war Lichtenstein vielleicht nur halb bewusst. Politisch provokativ funktionieren seine Bilder – so sie es je taten – nicht mehr. Die Provokation erschöpfte sich in einer originellen Stilidee; geeignet für eine Schau von begrenztem Erkenntniswert. So wie die nun in Hamburg eine ist.

Roy Lichtenstein – Plakate: bis 1. 3. 2009, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg (www.mkg-hamburg.de)