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Archiv-Artikel

Kein Heiland im Sattel

Hamburgs Sozialdemokraten suchen verzweifelt nach neuem Parteichef. Jetzt soll die Basis wählen zwischen zwei Kandidaten, die niemanden in Verzückung versetzen

„Euphorie“, sagt einer, der als Insider im Machtgefüge der Hamburger SPD gilt, „sieht anders aus.“ Auch zwei weitere Mitglieder des inneren Führungszirkels zucken nur die Schultern, wenn sie mit der Frage nach „Aufbruchstimmung“ konfrontiert werden. „Vielleicht“, sagt einer, „wird es ja gar nicht so schlimm.“

Anlass für die rote Miesepetrigkeit ist die Fahndung nach einem neuen Parteichef. Knut Fleckenstein und Mathias Petersen sind die beiden Bewerber, die sich nun einem Mitgliederentscheid stellen müssen. Das beschloss der Landesvorstand am Montagabend erwartungsgemäß (taz berichtete am Freitag). Das Problem ist nur, dass beide von niemandem als wirklich überzeugende Lösung angesehen werden.

Vor allem Petersen, der 48-jährige Arzt und Gesundheitspolitiker der Bürgerschaftsfraktion, habe in den Findungsgesprächen und auch am Montag vor dem Vorstand eine „schwache“ Vorstellung geboten, berichten unabhängig voneinander drei Sozialdemokraten, die keineswegs als enge Freunde gelten. Speziell in sozialpolitischen Fragen sei der Zögling von Alt-Bürgermeister Henning Voscherau „alles andere als sattelfest“. Den besseren Eindruck habe insgesamt der zwei Jahre ältere Fleckenstein, im Hauptberuf Geschäftsführer des Arbeiter-Samariter-Bundes, hinterlassen, wenngleich auch er keine Jubelstürme auszulösen vermochte.

Ein „informelles Meinungsbild“ der zehnköpfigen Findungskommission, die im Auftrag des Landesvorstandes die übersichtliche Kandidatenlage sondiert hatte, fiel denn auch einstimmig für Fleckenstein aus. Eine personelle Empfehlung an die Partei spricht der Vorstand anders als bei der Suche nach einem Spitzenkandidaten für die Bürgerschaftswahl im vorige Herbst jedoch nicht aus. Damals war Petersen gegen den offiziellen Kandidaten Thomas Mirow angetreten und nur knapp unterlegen. Nun lautet die Sprachregelung, beide Bewerber seien hoch qualifiziert.

Die müssen jetzt von nächster Woche bis Anfang Juni durch die sieben Parteikreise touren. Die Urwahl der etwa 12.700 Mitglieder endet am 6. Juni. Offiziell wird der Nachfolger des nicht erneut kandidierenden Vorsitzenden Olaf Scholz zwar am 19. Juni von einem Parteitag gewählt. Dennoch zweifelt niemand daran, dass die Delegierten ein klares Basisvotum akzeptieren werden.

Bis kommenden Montag können, das beschloss die Parteiführung vorgestern ebenfalls, noch weitere KandidatInnen ihre Hüte in den Ring werfen. Der Vermutung, dies sei als allerletzte Ermunterung an Unschlüssige zu verstehen, wollen die Eingeweihten „nicht widersprechen“. Allerdings glauben sie nicht, „dass da noch plötzlich der Heiland über uns kommt – wir haben keinen“. sven-michael veit