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Archiv-Artikel

Langeweile ist gesund

Frohnau ist laut Berliner Sozialstrukturatlas der zweitbeste Kiez der Stadt. Eine Idylle ohne Nachwuchs. Wer hier über 50 ist, will nie wieder fort. Doch Jugendlichen geht die Ruhe auf den Keks

VON WIBKE BERGEMANN

Frohnau ist eine Kleinstadt im Norden Berlins, mit der S-Bahn in einer halben Stunde ab Friedrichstraße zu erreichen. Wie sich es sich für eine richtige Kleinstadt gehört, gibt es einen Ortskern: den Ludolfinger- und den Zeltinger Platz. Hier gehen die Frohnauer einkaufen. In den zweistöckigen Klinkerbauten sind kleine Geschäfte untergebracht mit Namen wie „Mode für Damen und Herren“ oder „Wäsche für Tag und Traum“. Radfahrer schlängeln sich langsam über den Fußweg, Frauen schlendern mit Einkaufstüten vorbei und haben viel Zeit. Ältere Damen bleiben stehen und plaudern.

298 Kieze hat die Sozialverwaltung anhand von 27 Kriterien geprüft. Altersstruktur der Bewohner, Bildung, Einkommen und Gesundheit ergaben: Der Zeltinger Platz ist der zweitbeste Kiez der Stadt.

Erst auf den zweiten Blick fallen die vielen Luxuslimousinen neben der Straße auf. Fast alle Geschäfte bedienen gehobene Ansprüche. Auf jeder Seite des Platzes gibt es eine Bankfiliale. Glaubt man der Sozialstatistik, braucht sich hier keiner darum zu sorgen, ob das Geld bis zum Monatsende reicht: Nur 4 Prozent der Anwohner rund um den Zeltinger Platz sind arbeitslos.

Nachmittags sind vor allem Frauen auf der Straße. Monika Liehr prüft gerade die Stoffblumensträuße vor dem „Geschenke Lädchen“. „Ich war früher im Schuldienst tätig. Da ist man froh, wenn man seine Ruhe hat“, sagt die Rentnerin im dunkelroten Jackett. In die Innenstadtbezirke fährt sie nur sehr selten: „Ich brauche den Trubel nicht. Ich liebe das Grün. Wenn im Frühling alles wie ein Wunder wieder hervorschießt.“ Sie breitet die Arme aus, legt den Kopf nach hinten und blickt mit strahlenden Augen in die große Kastanie vor ihr auf dem Platz.

Um 1910 wurde Frohnau als Gartenstadt angelegt, noch immer sind auf Luftaufnahmen mehr Bäume als Häuser zu sehen. „Wer hier einmal hergezogen ist, der bleibt hier“, sagt eine ältere Frau an der Bushaltestelle.

Doch auch in Frohnau verändert sich manchmal etwas. Vor dem Mauerfall war die Gegend auf drei Seiten umgeben von DDR-Gebiet. „Da war hier tote Hose“, sagt Horst Webel, ein Rentner. Heute fließt durch die Zeltinger Straße Durchgangsverkehr aus Berlin in Richtung Norden. „Und sehen Sie sich das jetzt an“, sagt Webel und zeigt auf die Autokolonne, die sich über den Platz schiebt. Die Ossis kamen und die Bonner. Viele Bundestagsabgeordnete zogen in die Stadtvillen, die an breiten Kopfsteinalleen unter alten Kiefern und Laubbäumen stehen.

Vor dem Eiscafé sind einige Frauen mit kleinen Kindern versammelt. Monika schiebt gelangweilt einen Kinderwagen. Vor vier Jahren ist sie mit ihrem Mann hierher gezogen. Ihren Freundeskreis aus Uni-Zeiten hat sie in der Innenstadt zurückgelassen. „Wir leben sehr abgeschieden“, sagt die 30-Jährige und versucht zu lächeln. „Im Zentrum könnte ich mehr machen, arbeiten zum Beispiel.“ Die junge Frau will so bald wie möglich wegziehen aus Frohnau.

Die Statistik gibt ihr Recht. Der Anteil der 18- bis 35-Jährigen liegt bei 13 Prozent und damit um die Hälfte unter dem Berliner Durchschnitt. Nach der Schule heißt es nix wie weg. Auch Sophie ist vor zwei Jahren nach Charlottenburg gezogen. „Es ist einfach zu dörflich hier, zu viele alte Leute. Man kann nicht auf die Straße gehen, ohne mit irgendjemand reden zu müssen.“ Nur bei schönem Wetter kommt die 20-Jährige manchmal zurück. Heute liegt sie mit einer Freundin auf der Wiese in der Mitte des Zeltinger Platzes und sonnt sich. Von der Straße winkt ein Junge. „Das ist Moie, der einzige Schwarze in ganz Frohnau. Und der ist adoptiert.“ Sophie glaubt, dass die Jugendlichen, die hier aufwachsen, harmloser sind als in anderen Teilen der Stadt. Das Problem sei nur, dass sie zu viel Geld haben. An den Schulen werde mit Koks gedealt statt mit Gras. „Und ich weiß nicht, wie viele Jungs hier schon ihre Autos besoffen zu Schrott gefahren habe. Die wissen ja: Papas Anwälte holen sie da raus.“

Wenn man jung ist in Frohnau, gibt es nicht viel zu tun. Man trifft sich auf der Straße oder in einer der drei Kneipen. „Das ‚Mexiko‘ ist es ein echtes Highlight – eine Bar, die bis 3 Uhr aufhat!“, erzählt Sophie. Die Jüngeren treffen sich ab 20 Uhr vor dem S-Bahnhof. Stets dabei sind zwei 14-Jährige mit blassen Gesichtern und Schlabberhosen. Sie nennen sich CBK und NBC, das sind ihre Namen als Sprayer. „Wenn Dosen da sind, gehen wir sprühen“, sagt NBC. „Auf den S-Bahn-Anlagen, auf dem Zeltinger Platz oder an die Häuser der reichen Leute.“