Zulassen statt zuteilen

Mit ihren neu gefassten Grundsätzen reagiert die Bundesärztekammer auf eine überfällige Debatte

VON ULRIKE WINKELMANN

Ein eindeutiges Bekenntnis gegen die Sterbehilfe hat gestern Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer, abgelegt. „Wir Ärzte wollen den Tod zulassen, aber wir wollen ihn nicht zuteilen“, sagte Hoppe bei der Vorstellung der neuen „Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung“.

Die Richtlinien sollen einen angemessenen Umgang mit Patienten nahe legen, die an einer schweren Krankheit bald sterben werden. Sie sind „Berufsrecht“, also nicht strafrechtlich bindend, werden aber von Gerichten herangezogen, wenn es zu Strafprozessen um eine Lebensbeendigung kommt.

„Keine Mitleidsdebatte!“

Mit der Neufassung der Richtlinien reagiert die Ärzteschaft auf eine Debatte, die zuletzt zu Ostern wieder die breitere Öffentlichkeit beschäftigte. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Rolf Stöckel hatte sich für eine Liberalisierung der Sterbehilfe eingesetzt. In Deutschland ist die so genannte aktive Sterbehilfe, also das Verkürzen eines Lebens etwa durch die Gabe von tödlichen Schmerzmittel-Dosen, verboten. Die so genannte passive Sterbehilfe, also etwa das Abschalten von Geräten zur Lebenserhaltung, ist dagegen erlaubt. Maßgeblich hierfür ist, ob der Patient die passive Sterbehilfe wünscht.

Um den geäußerten oder unterstellten Wunsch eines Patienten gab es in der Vergangenheit schwierige Gerichtsverfahren. Diese mündeten vor einem Jahr in die Aufforderung des Bundesgerichtshofs an die Politik, die Patientenverfügung, den schriftlich fixierten Patientenwunsch, besser zu regeln. In den kommenden Wochen nun werden zwei Arbeitsgruppen des Justizministeriums und des Bundestags Empfehlungen zur rechtlichen Absicherung der Patientenverfügung abgeben.

Damit und mit einem vermutlich folgenden Gesetzentwurf wird zwar auch die Praxis der passiven Sterbehilfe beeinflusst. Doch vermeiden Politiker das Wort Sterbehilfe bislang strikt, weil sie fürchten, sonst ins ethische Abseits gestellt zu werden.

In seinem Plädoyer gegen die aktive Sterbehilfe schloss Ärztepräsident Hoppe gestern aus, dass es überhaupt Fälle gibt, in denen das Leid eines Menschen so unerträglich ist, dass sich ein Arzt berufen fühlt, einer Selbsttötung zu assistieren oder tätlich das Leben zu beenden. „Diese Mitleidsdebatte können wir nicht akzeptieren“, sagte Hoppe. „So hat das auch woanders angefangen, das bedeutet den Durchbruch.“ Es gebe immer medizinische Möglichkeiten, Schmerzen zu lindern – „bis zur Narkose“.

Entscheidung im Einzelfall

Scharf grenzte sich Hoppe von Entwicklungen in Nachbarländern ab. In den Niederlanden und Belgien schufen Politik und Ärzteschaft in den vergangenen Jahren Gesetze, wonach aktive Sterbehilfe zulässig ist. In der Schweiz hat es im vergangenen Jahr in der Ärzteschaft einen Kurswechsel gegeben. Der assistierte Suizid wird hier nun nicht mehr verurteilt.

Um jede Assoziation mit diesen Praktiken zu verhindern, sprach sich Hoppe auch gegen die Verwendung des Begriffs passive Sterbehilfe aus. „Passive Sterbehilfe ist nichts anderes als gekonnte Sterbebegleitung“, sagte er. Die neu formulierten Richtlinien gehen nun auf den neuen Stand der Debatte vor allem dadurch ein, dass die Gültigkeit der Patientenverfügung stärker betont wird. Ausdrücklich allerdings wollen sich die Ärztevertreter die Möglichkeit erhalten, die Verweigerung passiver Sterbehilfe vor Gericht zu erstreiten. „Es wird solche Fälle immer geben“, sagte der Vorsitzende des Ethik-Ausschusses der Bundesärztekammer, Eggert Beleites.

In manchen Punkten ist es fraglich, ob die Formulierungen der Grundsätze reichen, Ärzten ihre Unsicherheiten im Umgang mit Sterbenden zu nehmen. So wird etwa unterschieden zwischen „schwersten Zerstörungen des Gehirns“, die den Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung rechtfertigen, und einer „weniger schweren Schädigung“, die „kein Grund zum Abbruch“ sei. Ob eine Schädigung „schwerst“ oder „weniger schwer“ ist, wird letztlich vom einzelnen Arzt entschieden werden müssen. So wie jetzt auch.