: Wowereit: „Klage im September geplant“
Berlin geht zum Verfassungsgericht. Wowereit warnt vor Vorziehen der Steuerreform. PDS entwickelt „Studienkonten“
Berlin ist bekanntlich pleite. Nicht bekannt ist: Wie pleite genau. Wieder bekannt ist der Weg aus der Pleite heraus: Mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sollen der Bund und die anderen Bundesländer dazu gezwungen werden, Berlin zu entschulden.
„Wir rechnen damit, dass wir im September die Klage einreichen“, erklärte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) gestern. Zuvor hatte sich seine rot-rote Koalition auf einen Haushaltsentwurf für 2004/5 und mittelfristige Einsparungen verständigt. Strukturelle Einschnitte bei allen staatlichen Ausgaben sollen dem Gericht beweisen, dass Berlin ausreichend Eigenanstrengungen unternimmt. Dabei ist die Finanzlage kaum noch vorhersagbar: Weder die Auswirkungen des Hartz-Konzeptes noch der Agenda 2010 sind für eine Großstadt mit vielen Sozialhilfeempfängern auch nur annähernd prognosizierbar. Ob geplante Einsparungen von 2 Milliarden Euro bis 2006 erreicht werden, weiß deshalb niemand. Langfristig hofft Wowereit auf den Bund, kurzfristig fürchtet er ihn: „Ein Vorziehen der Steuerreform muss mit Kompensationen verbunden werden“, warnte Wowereit „Sonst reißt es sofort neue Löcher.“
Der Doppelhaushalt – um den die Koalitionspartner SPD und PDS nur einen Tag und eine Nacht rangen – sieht zusätzlichen Stellenabbau bei der Polizei vor: 550 Beamtenstellen sollen abgebaut werden. Einen Vorstoß des sozialdemokratischen Finanzsenators Thilo Sarrazzin, die Sozialhilfe in der Hauptstadt auf das Brandenburger Umlandniveau abzusenken, konnte die PDS abwehren. Den Stützeempfängern wird allerdings eine verbilligte Monatskarte für Bus und Bahn gestrichen und in den meisten Fällen das Kleidergeld gekürzt.
Die bundesweite Diskussion über die Erhebung von Studiengebühren könnte durch die gestrigen Beschlüsse einen neuen Impuls erhalten: Berlins Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) hat ein „Studienkontenmodell“ entwickelt. Jeder Student wird mit so genannten Credit-Points ausgestattet, die er für den Besuch von Uni-Veranstaltungen braucht. Sind die Credit-Points aufgebraucht, muss gezahlt werden. Die Einnahmen teilen sich Hochschulen und Landeskassen. Dies Modell trägt einem Konflikt in der rot-roten Koaliton Rechnung: Wowereit möchte – entgegen den Beschlüssen seiner SPD – Studenten unbedingt zur Kasse bitten. Die PDS hingegen schließt in ihrem Programm jede Form von Studiengebühren kategorisch aus. „Studienkonten unterscheiden sich von Studiengebühren“, erklärte Wirtschaftssenator Harald Wolf. Die Philosophie dahinter sei: „Jeder muss Zugang zur Resource Bildung haben. Aber die Resource ist in der Gesellschaft nicht unbegrenzt verfügbar.“ ROBIN ALEXANDER
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