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Archiv-Artikel

berliner szenen Schöner Zwischenraum

Äpfel und Steaks

Immer wieder wird man überrascht vom Frühling, wie schön das doch ist und wie gut es doch riecht. Überraschend ist auch, dass man überrascht ist; denn eigentlich gehört ja nicht allzu viel dazu, vorherzusagen, dass es im Mai immer prima ist. Das ist es ja in jedem Jahr. Der Mai gehört zu Berlin wie die Weißwurst zum Weizenbier. Und dennoch, hätte einem das jemand vor zwei Monaten erzählt, dass man in acht Wochen bestens gelaunt die Sonne und den Kaffee anhimmelt, der vor einem steht, in diesem eigentlich doch eher blödsinnigen Café, so leicht debil grinsend, als sitze man hier Reklame für die Freuden der Großstadt, man hätte ihn für blöd erklärt. Geändert hat sich ja tatsächlich nicht mehr als das Wetter.

Vermutlich ist dies die beste Zeit, den Körper ein wenig zu überholen, die Zähne reparieren zu lassen und sich etwas Neues zu kaufen, in diesem schönen Zwischenraum zwischen Frühling und Sommer, in dem Körper und Geist zwischen Frühjahrsmüdigkeit und Enthusiasmus herumschwanken. Bei der Zahnärztin konnte man sich an einem kleinen Krokodil festhalten. Danach war es noch Morgen und wie immer super. Wo eben noch Schmerz war, ist nun so ein leicht metallischer Geschmack. Den ganzen Winter lang aß man Eintopf, um das schmerzliche Aufeinandertreffen zwischen kränkelnden Zähnen und festem Essen zu vermeiden, und nun isst man plötzlich Äpfel, Steaks usw. Irgendwie denkt man auch, dass den Leuten, die die komplizierte Kulturtechnik mit der Zahnseide beherrschen, das Glück der Wiederherstellung versagt ist. Ein Glück, das auch dazu führt, dass man sich zur Belohnung eine neue Sonnenbrille kauft und so seinen kleinen Beitrag zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts leistet. DETLEF KUHLBRODT