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Archiv-Artikel

Ein Opfer der Verhältnisse

Auf Kultursenator Flierl dreschen derzeit alle ein, er wird fast täglich zum Rücktritt aufgefordert. Das erinnert an Zeiten, wo es hieß: „Zuletzt Kultur“. Aber das Flierl-Mobbing hat in der Kulturstadt System

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Die Zeiten, in denen Kultursenator Thomas Flierl (PDS) selbstbewusst durch die Flure des Roten Rathauses flanieren konnte, haben Erinnerungswert. Den hohen Sparauflagen im Etat des Landes 2003 war er nur leicht gerupft entkommen. Die große Reform der drei Opernhäuser hatte der Senator gegen Angriffe der SPD-Senatoren durchgesetzt. Mit Kulturstaatsministerin Christina Weiss pflegte Flierl den konstruktiven Dialog über den Hauptstadtkulturvertrag und die Übernahme von Berliner Kulturinstitutionen durch den Bund und nervte mit der Forderung, die Bundesregierung müsse sich bei dem Erhalt und Bau der Gedenkstätten „stärker engagieren“. Letzter Coup des Senators war, ein Staatsballett zu installieren.

Warum dem Kultursenator trotzdem derzeit alles um die Ohren fliegt und er zum Rücktritt aufgefordert wird, hat – klein gerechnet – aktuelle politische Gründe. Die Attacken der Grünen gegen Flierl sind das Resultat ihrer Negativbilanz „100 Tage Opernstiftung“. Die Stiftung agiere „im rechts- und kontrollfreien Raum“, sagt die kulturpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Alice Ströver. Nach wie vor sei keine einzige Personalentscheidung gefällt, es gebe keinen Generaldirektor, und die Intendantenstelle der Deutschen Oper sei weiterhin vakant. „Der Senator ist überfordert“, so Ströver. Und als die PDS im April Flierl beim Studienkontenmodell die Gefolgschaft und damit Einnahmen im Flierl-Etat von 10 Millionen Euro verweigerte, legte die Berliner FDP mit dem Ruf nach „einem personellen Schnitt“ nach.

FDP-Fraktionschef Martin Lindner meinte, Flierl, sei zu einer „schlappen Witzfigur im Senat degeneriert“. Der Senator solle „nun einen Rest von Charakterstärke an den Tag legen und zurücktreten“. Lindner verwies auf eine „lange Kette von Peinlichkeiten und Niederlagen“ Flierls als Kultursenator.

Die eigentlichen Gründe für das aktuelle „Flierl-Mobbing“ hingegen liegen – neben handwerklichen Fehlern des Senators wie bei der ungeklärten Intendanten-Besetzung – im „System Kultur Berlin“, sprich den Begehrlichkeiten unterschiedlicher Kulturlobbys, den mangelhaften Etats und einer noch immer existierenden Subventionsmentalität der Institutionen. Hinzu kommt, dass in Sachen Berliner Kultur Klaus Wowereit (SPD) der eigentliche Chef im Ring ist. Er steht im Scheinwerferlicht, schließt Verträge etwa mit Mick Flick über dessen Sammlung ab – ohne übrigens Flierl damals einzubinden.

An dieser „Fronde“ haben sich schon vor Flierl die Kultursenatoren die Zähne ausgebissen. Jetzt ist Flierl selbst dran, und weil sein Strukturreformplan lahmt, fallen ihm die alten Probleme neu auf die Füsse. „Die Kulturpolitik muss neben Museen, Opern und Theatern auch die Zukunftsbranchen fördern“, fordert Bernhard Kotowski vom Berufsverband Bildender Künstler und klagt damit die Stagnation in Flierls Kulturverwaltung an, die er nur als Verwalter des Mangels sieht.

Der fehlende Handlungsspielraum in einer Stadt, die paradoxerweise fast ausschließlich von ihrem Kulturimage zehrt, aber nur bereit ist, knapp zwei Prozent ihres Landeshaushalts für die Kultur zu investieren, demontiert noch jeden Kultursenator. 370 Millionen Euro – Tendenz sinkend – hatte Flierl 2003 im Geldbeutel. Fallen Steuern aus, ist gleich ein ganzes Ensemble oder ein Theater gefährdet. Statt Investitionen vornehmen und Experimente wagen zu können, stehen Schließungen auf der Agenda. Der Kultursenator wird zum Totengräber seiner eigenen Branche.

Zugleich ist ein Commonsense über die Bedeutung von Kultur in Berlin nicht existent, stattdessen geht es um parteitaktische Verpflichtungen. So stimmte Flierls PDS im Parlament etwa für das Aus der Westberliner Symphoniker. Gegen geplante Kürzungen beim östlichen carrousel Theater dagegen stemmt sich die Partei, geht es doch um ihre Klientel. Gleiches widerfuhr dem Senator bei der Reform der Kunsthochschulen – oder bei den Studienkonten im Bereich Wissenschaft.

Darüber hinaus wehrt sich die Leuchtturm-Lobby – die Intendanten, Museums- und Musikdirektoren – gegen Strukturveränderungen in ihren Häusern, um gleichzeitig den schwarzen Peter den weniger repräsentativen freien Gruppen zuzuschustern.

Schließlich erweist sich die Berliner Notgemeinschaft mit dem Bund – der mit Mitteln des Hauptstadtkulturfonds Berlin subventioniert – als machtpolitisches Spiel, bei dem Berlin am kürzeren Hebel sitzt. Um die Vergabe von Geldern besser kontrollieren zu können, hat Christina Weiss die Kuratorin des Fonds, Adrienne Goehler, jüngst entmachtet. Flierl hat dem zugestimmt, um nicht den Fonds insgesamt zu gefährden. Vom „Offenbarungseid in der Berliner Kulturpolitik“ spricht seither die Grüne Ströver. Davon, dass Flierl durch das „System Kultur Berlin“ keine Chance hat, spricht keiner.