Im Schatten der Götter

Rekonstruiertes Prinzenhaus, Masken, Dolche und religiös bestickte Stoffe: Museum für Völkerkunde präsentiert in seiner aktuellen Bali-Ausstellung weitere Exponate aus dem „inneren Reichtum“ des Hauses und setzt zugleich – auch in der Präsentation – auf Dialog mit hier lebenden Balinesen

Blickfang der Ausstellung ist das rekonstruierte Prinzenhaus aus dem 19. Jahrhundert

von HAJO SCHIFF

Stundenlang dauern die Schattenspiele auf Bali. Im Flackerlicht einer Öllampe und von Gamelan-Musik begleitet, werden die aus Indien übernommenen Kampf-Epen Ramayana und Mahabharata durch die Bewegungen zweidimensionaler Lederfiguren verlebendigt. Doch wer sich nicht auf Prinzessin Sita und Affengott Hanuman oder die Erbstreitigkeiten der Pandawas und Korawas einlassen will, kann heute als Schattenfiguren auch Tick, Trick und Track aus Disneys Neu-Mythen-Produktion kaufen.

Bali – jene Insel, der die aktuelle Ausstellung im Museum für Völkerkunde gewidmet ist, ist dennoch mehr als ein touristisches Freilichtmuseum: Es ist eine Götterinsel – so nennen sie selbst die Einheimischen. Tausende von Manifestationen des Göttlichen werden in mehr als 20.000 Tempeln verehrt. Aus der reichen Folklore der 3,7 Millionen Balinesen und der üppigen tropischen Natur haben Touristiker ein Hochglanz-Image kreiert.

Doch worin liegt der grundlegende Traum auf dieser einen der 13.000 Inseln zwischen Hinterindien und Australien? Vielleicht darin, in permanenter hinduistischer Verehrung der Dreiheit Brahma, Wisnu und Siwa leben zu können – mitten im größten islamischen Staat der Erde? Denn trotz großer kultureller Unterschiede gehört Bali zu Indonesien. Darin liegt auch ein Teil der Spannungen, die zum Bombenattentat vom 12. Oktober 2002 führten, bei dem es im Touristenort Kuta 200 Tote gab und das den Tourismus weitgehend zusammenbrechen ließ. Über diese Nacht des Terrors zeigt im indonesischen Pavillon der aktuellen Biennale von Venedig Made Wianta eine Installation mit blutgetränkten Fotocollagen.

Eher auf Aufklärung setzt dagegen das Hamburger Museum für Völkerkunde und kommentiert seine Bali-Ausstellung mit etlichen Texttafeln. Erstmalig wird hier die seit etwa 100 Jahren aufgebaute Bali-Sammlung im Zusammenhang gezeigt – eine Indonesien-Abteilung älteren Stils gab es schon bisher im ersten Stock.

Erst 1994 beispielsweise erwarb der Förderverein des Museums sämtliche geschnitzten Teile eines erdbebenzerstörten Prinzenhauses aus dem 19. Jahrhundert: Die Teilrekonstruktion ist nun der hauptsächliche Blickfang der Ausstellung, in der Schattenspielfiguren und Masken reich vertreten sind. Aber Kris-Dolche und Sporen für den Hahnenkampf sprechen auch von einer härteren Seite dieser Kultur. Kenner werden seltene Stoffe im „Ikat“-Muster finden, Bilderfreunde wird Kamasan-Malerei beeindrucken oder die sepiagraue Figurentafel der 210 Tagesheiligen des alten balinesischen Kalenders. Und da ist das silberne Amulett, das einem Kleinkind nach drei Monaten um den Hals gebunden wird und das dessen getrocknete Nabelschnur enthält – ein Schutz vor dem bösen Geist.

Als eine Präsentation aus der Reihe „Der innere Reichtum des Museums“ entspricht auch diese Bali-Ausstellung der Verbindung von sammlungsgeschichtlicher Selbstdarstellung und externer Kommunikation. Nach und nach werden die Archive nutzbar, indem komplett ausgebreitet wird, was im Hause zu den jeweiligen Themen bewahrt wird, das Material wird gesichtet, neu bestimmt und aktuell mit den jeweiligen Landsleuten diskutiert.

Den hier lebenden Balinesen etwa war besonders wichtig, eine Geisterschutztür mitten vor den Eingang zu setzen und die Ausstellung nach grundlegenden geomantischen Prinzipien auszurichten: Früher bildeten Ethnologen für sich eigene Theorien über die Artefakte aus aller Welt aus, heute lernen sie einerseits von den hier lebenden Ausländern, bringen andererseits vor Ort verloren gegangenes Wissen in jene Länder zurück, aus denen es einst kam. Ein Austauschprozess, in dem das Hamburger Museum führend ist und der bald mit den Philippinen und Sumatra fortgesetzt wird.

Di–So 10–18 Uhr; Museum für Völkerkunde, Rothenbaumchaussee 64; bis 2.11.