piwik no script img

Archiv-Artikel

Wall Street weit entfernt von einem Neuanfang

Zwar arbeiten die Behörden nach den Bilanzskandalen 2002 an einer besseren Kontrolle. Vielen Unternehmen fehlt jedoch bislang die Einsicht

NEW YORK taz ■ Die Wall Street entrümpelt. Zumindest sieht es so aus. Nach den großen Bilanzskandalen um Enron und Co im letzten Jahr folgten neue Regeln und eine Rekordzahl von Gerichtsklagen gegen die größten Investment-Banken. Jetzt ist die Chefetage dran. Letzte Woche mussten die Top-Manager von 12 Banken, darunter Citigroup, Crédit Suisse und Merrill Lynch, den Aufsichtsbehörden ihre E-Mails und andere Dokumente aus den letzten drei Jahre überlassen.

Die Behörden wollen herausfinden, ob und wie die Manager in die Interessenkonflikte ihrer Analysten verstrickt sind. Diese stehen unter dem Generalverdacht, Aktien zu schönen, um neue Beratungsaufträge zu erhalten. Ihren Chefs droht eine saftige Geldbuße oder eine lebenslange Sperre, wenn sie ihre Aufsichtspflicht verletzt haben.

Tatsächlich wurde die Wall Street noch nie so unter die Lupe genommen wie heute: Analysten für Neuemissionen dürfen nicht mehr für ebendiese Aktien werben. Ihr Gehalt darf nur noch von der Genauigkeit ihrer Analyse und nicht mehr von der Zahl ihrer neuen Aufträge bestimmt werden. Banken müssen Wertpapiere von externen Experten begutachten lassen. Außerdem soll verboten werden, dass die Aktien vielversprechender Börsengänger zum Vorzugspreis an gute Kunden abgegeben werden – was während des Börsenbooms noch üblich war. Vor allem Kleinaktionäre fühlten sich betrogen und organisierten Sammelklagen. Genützt hat es ihnen kaum: Sie dauern oft Jahre und führen nur dazu, dass ein kleiner Teil des Verlusts zurückerstattet wird.

Und so hat sich trotz der Vertrauensoffensive nicht viel verändert. Das Gedächtnis scheint sehr kurz zu sein – etwa bei Morgan Stanley. Die Bank wurde kürzlich zu einer Buße von 125 Millionen Dollar verdonnert, weil sie andere Banken für positive Analysen ihrer Kunden bezahlt hatte. Leiter Philip Purcell sagte dazu, er sehe in der Entscheidung nichts, was die Privatkunden der Bank angehe. Erst nachdem ihm der neue Chef der Börsenaufsicht SEC Mangel an Reue vorgeworfen hatte, nahm Purcell die Äußerung zurück.

Auch die Investment-Bank Bear Stearns, die bereits ein Bußgeld von 80 Millionen Dollar zahlen musste, kümmern die neuen Börsenregeln wenig. Einer ihrer Analysten wurde erwischt, als er iPayment, eine Firma, die die Bank an die Börse bringen wollte, in höchsten Tönen unzulässig lobte. Bear Stearns entschuldigte sich – und zog die Neuemission wenig später mit großem Erfolg durch.

Und erst vor drei Monaten wollte der Chef der New Yorker Börse, Richard Grasso, Citigroup-Chef Sanford Weill als Vertreter der Anleger in den Vorstand einbringen. Dabei hatte die Citigroup gerade erst 300 Millionen Dollar an die Aufsichtsbehörde zahlen müssen, ihr ehemaliger Staranalyst Jack Grubman, der Aktien „hochgejubelt“ hatte, bekam Berufsverbot. Erst nach heftigen Protesten zog Weill die Kandidatur zurück.

HEIKE WIPPERFÜRTH