piwik no script img

Archiv-Artikel

„Ein Wettlauf mit der Zeit“

Moderation NICK REIMER

taz: Herr Teske, warum hat der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) gegen den Offshore-Windpark Butendiek geklagt und Greenpeace nicht?

Sven Teske (Greenpeace): Wir haben genau wie der Nabu die 80 Seiten starken Genehmigungsunterlagen geprüft. Wir kommen zu einem anderen Urteil: Butendiek ist ein gutes Pilotprojekt, das unterstützt werden muss.

Herr Musiol, ist der Nabu neuerdings gegen die Energiewende?

Frank Musiol (Nabu): Überhaupt nicht. Wir wollen nur auf See nicht die Fehler wiederholen wie an Land. Dort wurden viele Windparks an den falschen Stellen gebaut. Deshalb hat sich Widerstand formiert. Butendiek ist in einem wichtigen Vogelschutzgebiet geplant. Zudem ist das Gebiet eine Kinderstube der Schweinswale. Für uns der schlechteste Standort, der in Frage kommt.

Teske: Nach den Kriterien der europäischen Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie darf 1 Prozent einer geschützten Meeresfläche wirtschaftlich genutzt werden. Butendiek würde weniger als 1 Prozent dieser Fläche nutzen …

Musiol: Ein ganz unseriöses Argument. Die Grenzen des Schutzgebietes sind noch gar nicht festgelegt. Und solange nichts ausgewiesen ist, darf nach EU-Recht nichts genutzt werden – auch nicht 1 Prozent.

Teske: Aber es steht doch fest, dass die Ausweisung demnächst erfolgt, lange vor Baubeginn also. Und fest steht genauso, dass die größte Bedrohung der Schweinswale die Schleppnetzfischerei ist. Tausende Tiere verenden jährlich als Beifang in den Netzen. Wo Windräder stehen, wird nicht gefischt.

Musiol: Die Fischereibehörden wollen durchaus auch Offshore-Gebiete zum Fang freigeben.

Teske: Das geht schon aus Sicherheitsgründen nicht. Auf dem Meeresgrund liegen Kabel, von jedem Windrad geht eins ab.

Was konkret befürchtet der Nabu denn?

Musiol: Es geht nicht nur um die Wal-Kinderstube, Butendiek liegt auch im Zentrum einer Population von bedrohten Seevögeln. Zudem sind rund um Butendiek weitere Windparks geplant, was die Situation verschärft.

Teske: Die Erfahrungen mit dem nördlich von Butendiek liegenden dänischen Windpark „Horns Rev“ zeigen, dass die Schweinswale sich mit den Windrädern arrangieren. Nach heutigem Wissenstand werden außerdem nur 80 bis 200 Seetaucher vertrieben. Bei einer Gesamtpopulation von über 100.000.

Musiol: Das ist doch wieder nicht seriös: 100.000 gibt es ja nicht westlich von Sylt – sondern weltweit. Horns Rev hat auch gezeigt, dass in der Bauphase Schweinswale im Umkreis von 15 Kilometern vertrieben werden – verheerend für eine Kinderstube.

Teske: Ich gebe zu: Butendiek muss noch einmal ein Konzept vorlegen, wie gebaut werden soll. Greenpeace hat Beratung angeboten. In Horns Rev wurden die Fundamente eingerammt. Es gibt mittlerweile andere Techniken, zum Beispiel so genannte Blasenvorhänge, die den Schall abschirmen. Es gibt außerdem inzwischen die Möglichkeit, die Fundamente in den Meeresboden zu bohren. Warum ignoriert der Nabu diese technischen Innovationen einfach?

Butendiek ist nicht der einzige Offshore-Park, der in Planung ist. Trotzdem ist er zum Symbol für den Streit um die Offshore-Technik geworden. Warum?

Teske: Weil mit dem Nabu ausgerechnet ein Umweltverband gegen oberste Ziele der Umweltbewegung geklagt hat: Energiewende, Klimaschutz.

Musiol: Andersherum ist es richtig. Genau wegen dieser Ziele klagen wir. Außerdem: Es gibt genügend andere Gebiete, in denen Windparks aus Naturschutzsicht problemlos gebaut werden können – etwa vor der niedersächsischen Küste. Die Zukunft der Offshore-Technik wird also nicht von Butendiek abhängen.

Teske: Doch, genau das wird sie. Butendiek ist der einzige große genehmigte Windpark mit 80 Anlagen. Der Park vor der niedersächsischen Küste hat nur 12 Anlagen. Wenn man eine neue Technik einführt, braucht man Monitoring – Untersuchungen, an denen man sowohl technisch als auch ökologisch lernen kann. Kleine Windparks können solche Ergebnisse nicht liefern.

Und warum wollen Sie gleich ganz große?

Teske: Ich will an unser Ziel errinnern: Bis 2010 werden 2.700 Megawatt Atomstrom an küstennahen Standorten abgeschaltet. Uns muss es darum gehen, dass Offshore diese Lücke füllt – und nicht irgendeine andere konventionelle Energie. Butendiek kann frühestens 2005 gebaut werden. Dann haben wir 200 Megawatt Offshore-Kapazität. Dank des Monitorings wird es technischen Fortschritt geben. Und damit Hoffnung, dass bis 2010 tatsächlich die 2.700 Megawatt installiert werden. Aber das ist ein Wettlauf mit der Zeit.

Musiol: Wir sind doch gar nicht so weit auseinander. Auch wir wollen diesen Wettlauf gewinnen. Das geht aber nur, wenn wir die Basis, die Naturschützer, ins Boot holen. Monitoring ist auch in den niedersächsischen Parks von Plambeck oder Energiekontor möglich. Die liegen in der Planung nur ein Dreivierteljahr hinter Butendiek.

Teske: Genau das geht nicht! Das wäre das Ende. Der bislang größte installierte Windpark – Horns Rev – steht in einer Wassertiefe von etwa 15 Metern. Butendiek wird 20 Meter unter dem Meeresspiegel gebaut. Geht man weiter raus, wird das Wasser 30 Meter tief. Das bedeutet erheblich mehr Lasten für die Fundamente. Dafür fehlt schlicht das Know-how. Zudem würde das Projekt unrentabel.

Offshore-Windparks sind extrem kostenintensiv, klassische Finanzierungsformen reichen deshalb nicht aus. Für Butendiek haben sich deshalb über 8.000 engagierte Bürger zusammengeschlossen. Die hat der der Nabu nun gegen sich.

Musiol: Das ist tatsächlich ein bitterer Punkt. Butendiek ist, was die Struktur der Betreibergesellschaft betrifft, das sympathischste und zukunftsweisendste Projekt. Das ändert aber nichts an einem schlecht gewählten Standort.

Teske: Dem Nabu muss klar sein, dass es hier nicht nur um den Standort geht. Wenn Butendiek stirbt, wird es westlich von Sylt absehbar kein Offshore geben. Es würde sich alles nördlich von Borkum konzentrieren. Und damit schaffen wir das deutsche Klimaziel nicht.

Musiol: Das Klimaziel ist nicht von Butendiek abhängig. Starten wir vor Borkum, können wir später westlich von Butendiek weitermachen.

Teske: Die Nordsee ist kein unberührtes, sondern ein Industriegebiet. Es gibt über 445 Ölplattformen, über 10.000 Kilometer Pipelines in der Nordsee. Die Fischerei pflügt den Grund jährlich zweimal komplett um. Bis zu 8.000 Qadratkilometer des Meeresgrunds sind völlig verseucht. Unsere Vision ist, diese dreckige Industrie durch saubere zu ersetzen. Deshalb muss die Umweltbewegung geschlossen Druck auf die Konferenz der Nord- und Ostsee-Anrainer machen, die sich Ende des Monats erstmals in Bremen auf der Ospar-Helbar-Konferenz treffen. Da geht es unter anderem um die ökologischen Kriterien für den Wirtschaftsraum.

Die Umweltbewegung war Anfang der Achtzigerjahre eine Neinbewegung. Inzwischen ist das anders: Bei Planungs- oder Genehmigungsverfahren arbeiten Umweltverbände konstruktiv an Lösungen mit. Ist der „Nein zu Butendiek“ sagende Nabu die alte Bewegung, Greenpeace dagegen die neue?

Musiol: Überhaupt nicht. Wir sagen Ja zu Offshore. Beim Thema Windenergie hat der Nabu in der Vergangenheit oft nur Ja gesagt. Wir haben gelernt und sagen jetzt auch „… aber am richtigen Standort!“. Auch wir wollen, dass im Meer Schutzgebiete festgelegt werden, die frei von jeglicher wirtschaftlichen Nutzung bleiben. Alles, was ringsrum liegt, kann genutzt werden – immerhin 75 Prozent der Wirtschaftszone. Das ist unser Beitrag zur Planungssicherheit.

Teske: Wenn wir immer nur sagen: Ja, aber nicht hier, und dort ist es auch nicht genehm, dann wird ausgerechnet die Umweltbewegung die Offshore-Technik abwürgen. Wir können nicht immer nur fordern, aus der Atomenergie auszusteigen, die klimaschädliche fossile Energie abbauen und gleichzeitig die erneuerbare Energietechnik blockieren. Das ist unglaubwürdig.

Musiol: „Nein zu Atom, Ja zu Wind“ zu sagen ist zu einfach. Ja zu Wind zu sagen und dann ein Aber an den Stellen anzusprechen, die tatsächlich problematisch sind – das ist der verantwortungsbewusste, zukunftsweisende Weg moderner Umweltbewegung.