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Archiv-Artikel

Die Angst vor dem DNA-Profil

Das BKA hat vorgeschlagen, auch Kleinkriminelle in die Gendatei einzustellen

von CHRISTIAN RATH

In der Bundesregierung bahnt sich ein Positionswechsel zur DNA-Speicherung von Straftätern an. In einem „ergebnisoffenen Prozess“ machen sich zurzeit Fachleute von Innen- und Justizministerium sowie von SPD und Grünen „sachkundig“, wie es in Berlin heißt. Vorige Woche ließ man sich beim Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden die Funktionsweise der so genannten Gendatei erklären. Heute werden Abgeordnete und Beamte das Berliner Landeskriminalamt besuchen. Dort wollen sie erkunden, was die Polizei beim genetischen Fingerabdruck eigentlich untersucht.

Sie werden dann erfahren, dass das DNA-Profil keine Informationen über konkrete Erbanlagen enthält. Der genetische Fingerabdruck ist ein hochindividueller Zahlencode, der zwar zur Identitätsfeststellung taugt, aber sonst keine Erkenntnisse über Persönlichkeit, Krankheiten oder Charaktereigenschaften zulässt. Konkret werden an acht Stellen des Erbmaterials die Standorte bestimmter Moleküle festgestellt, und dieses Muster wird dann durch 8 mal 2 Zahlenwerte beschrieben. Der genetische Fingerabdruck besteht also aus 16 Ziffern – ohne sonstige Aussagekraft.

Dieter Wiefelspütz, der innenpolitische Sprecher der SPD, hat deshalb vor wenigen Wochen gefordert, die hohen Hürden beim genetischen Fingerabdruck aufzugeben. „Wir sollten das DNA-Profil wie einen normalen Fingerabdruck behandeln“, erklärte Wiefelspütz. Bei jeder erkennungsdienstlichen Behandlung würde dann neben Foto und Fingerabdruck immer auch ein DNA-Profil erstellt. Eine besondere richterliche Anordnung wäre entbehrlich. Auch Innenminister Otto Schily (SPD) hat ähnliche Pläne.

Der Vorstoß rief wütende Empörung beim grünen Koalitionspartner hervor. „Diese Daten sind weitaus sensibler als der bloße Fingerabdruck“, erklärte etwa Jerzy Montag, der rechtspolitische Sprecher der Bündnisgrünen. Worin die besondere Sensibilität dieses Zahlencodes konkret besteht, blieb in Montags Protestbrief freilich offen.

In der Bundesregierung vermuten viele, dass die Grünen vor allem ein Vermittlungsproblem bei ihrer gentechkritischen Basis haben. Öffentlich sagen will dies aber niemand. Auch Wiefelspütz versprach öffentliche Zurückhaltung, wenn im Gegenzug endlich „freimütig“ über eine Ausweitung der Gendatei diskutiert werde. Damit hat Rot-Grün nun begonnen.

Zurzeit sind in der DNA-Analyse-Datei die Zahlencodes von 234.000 Personen gesammelt sowie von 38.000 noch ungeklärten Tatortspuren. Täglich kommen 300 neue Datensätze hinzu. Ziel ist es, die Tatortspuren einer konkreten Person zuzuordnen, um diese dann näher überprüfen zu können. Die Ermittlungen gegen Rückfalltäter werden so bedeutend erleichert. Selbst lange ungeklärte Morde, Vergewaltigungen und Einbruchserien können plötzlich aufgeklärt werden.

Eingespeist werden die DNA-Profile von den Landeskriminalämtern. Im BKA wird nur der Datenabgleich durchgeführt, der pro Spur etwa zehn Sekunden dauert. Zuständig ist Kriminalhauptkommissar Alexander Bachmannn mit zwei bis drei Mitarbeitern. Dabei ergibt jeder fünfte Versuch einen Treffer. Mit einer Erfolgsquote von 20 Prozent hatte man zu Beginn selbst beim BKA nicht gerechnet. Ohne Zweifel ist die 1998 eingeführte Datei eine sinnvolle Innovation.

Datenschützer wie Rainer Hamm weisen zwar darauf hin, dass schon ein zufällig am Tatort weggeworfenener Zigarettenstummel zu einem Treffer in der Gendatei führen kann. Das aber könnte auch mit Fingerabdrücken an einem belebten Tatort passieren. Immerhin sind in der Fingerabdruckdatei AFIS rund drei Millionen Menschen erfasst. Und wenn ein vorbestrafter Sexualverbrecher offensichtlich am Tatort eines neuen Sexualverbrechens war, dann sollte es der Polizei wohl erlaubt sein, nach einem Alibi zu fragen.

Bedenken hat aber auch Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung. Mit zunehmendem technischem Fortschritt könnte „der ganze Mensch“ gespeichert werden, so warnt er, „seine Identität, seine Krankheiten, seine Erbanlagen“. Doch warum sollte man? Mit dem neutralen Zahlencode kann man heute schon mit mehr als 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit die Übereinstimmung von Tatortspur und Täterprofil feststellen. Mehr Genauigkeit bei der Identitätsfeststellung ist kaum möglich. Und nur um die Zuordnung von Tatortspuren geht es bei der Wiesbadener DNA-Datei.

Weiter gehende Gentests sind eher dann sinnvoll, wenn die Wiesbadener Datei keinen Treffer ergibt, also nach einer unbekannten Person gefahndet wird. Dann wäre es tatsächlich interessant, zu wissen, ob die Blutspur am Tatort von einem blonden oder einem schwarzhaarigen Menschen stammt, ob dieser braune oder blaue Augen hat. Gegen die Ermittlung solcher „Persönlichkeitsmerkmale“ aus Tatortspuren kann aber wohl niemand etwas einwenden, schließlich darf man ja auch Zeugen nach Haar- und Augenfarbe eines Täters fragen.

Doch solche Vorstellungen sind derzeit ohnehin mehr Fiction als Science. Denn noch ist die Wissenschaft nicht in der Lage, allzu viel Konkretes aus der Spuren-DNA herauszulesen. Möglich ist immerhin die Feststellung, ob die Spur von einem Mann oder einer Frau stammt. Dies wird demnächst in der Strafprozessordnung auch ausdrücklich erlaubt, darauf haben sich SPD und Grüne schon voriges Jahr geeinigt. In den Niederlanden hat man der Polizei außerdem (quasi auf Vorrat) genehmigt, Tatortspuren auf äußerlich erkennbare Merkmale des zugehörigen Spurenlegers zu untersuchen.

In Deutschland dreht sich die Diskussion derzeit aber weniger um die Auswertung von Tatortspuren als um die Frage, welche Personen in der Wiesbadener Datei gespeichert werden dürfen. Bisher muss eine Verurteilung oder ein Verdacht wegen einer erheblichen Straftat vorliegen. Die CDU/CSU will nun jeden Sexualtäter in die Gendatei einstellen. Auch Exhibitionisten und Grapscher könnten später schwerere Taten begehen, so das Argument von Bayerns Justizminister Manfred Weiß. Rot-Grün dagegen hält das Vorhaben für unverhältnismäßig.

Für Bewegung in beiden Lagern könnte da ein Gutachten des Bundeskriminalamtes sorgen, das die Vortaten von 400 Vergewaltigern und Sexualmördern untersuchte. Exhibitionismus spielte bei diesen Vortaten keine besondere Rolle, umso relevanter waren Ladendiebstähle und andere Formen der Kleinkriminalität. Im Schnitt war jeder der untersuchten Täter vorher bereits mit 20 Straftaten aufgefallen.

Das BKA hat dem Innenministerium daher vorgeschlagen, auch Kleinkriminelle in die Gendatei einzustellen, wenn sie mindestens fünfmal strafrechtlich aufgefallen sind. Ein vernünftiger Vorschlag, schließlich geht es lediglich um die Speicherung in einer Datei, die bei späteren Rückfällen den Beweis erleichtert – und nicht etwa wie beim US-Ansatz „Three strikes and you're out“ um lebenslange Haft nach dem dritten Delikt.

Bislang halten die Rechtspolitiker von SPD und Grünen aber an einer Minimallösung fest. So sollen künftig zwar auch geringfügigere Sexualstraftaten zur Speicherung in der Gendatei führen können, Voraussetzung ist aber, dass ein Richter prognostiziert, dass später „erhebliche“ Straftaten folgen könnten.

Doch genau über solche Regelungen ärgern sich Wiefelspütz und Schily. Sie halten aufwändige richterliche Prüfungen und Prognosen für überflüssig – wo es doch nur um die Speicherung eines neutralen Zahlencodes geht. Auch der Bund deutscher Kriminalbeamter (BDK) spricht von „sinnloser Bürokratie“.

Eine interessante Konstellation. Sonst müssen sich Otto Schily und der BDK oft von den Grünen anhören, sie betrieben keine „rationale Kriminalpolitik“ und schürten aus Eigeninteresse Ängste in der Bevölkerung. Diesmal ist es umgekehrt.