Geschlossene Gesellschaft

Berlin ist die Stadt der kulturellen Vielfalt und des Multikulti. Ihre Repräsentanten sehen das anders. Im Kulturausschuss sprachen Migranten gestern über fehlende Förderung und mangelnde Akzeptanz

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Michael Braun, kulturpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag, blickt multikultimäßig voll durch. Zwei Tage habe er den „Karneval der Kulturen“ in der vorvergangenen Woche besucht. Gefallen fand er zudem. Und auch die Stände mit „brasilianischen Cocktails“ seien ihm in Erinnerung geblieben. Dass nun „angesichts“ der bunten Multikulti-Mischung in der Stadt ausländische Kulturvertreter die Frechheit besaßen, in der Anhörung im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses am Montag über den Zustand „kultureller Vielfalt von Migranten“ zu „jammern“, hat Braun „geärgert“. Hat der Mann zu viele Cocktails getrunken?

Sicher, niemand – auch nicht die Mehrheit der Fraktionen im Kulturausschuss – wird behaupten, Berlin besitze und fördere nicht kulturelle Aktivitäten seiner ausländischen Mitbürger. Das Land unterstützt die Werkstatt der Kulturen ebenso wie das Radio Multikulti. Im Tiergarten steht ein „Haus der Kulturen der Welt“, Projekte polnischer oder türkischer Theatergruppen – wie das Tiyatrom – werden vom Land subventioniert. Doch anders, als Braun meint, und anders als die „Selbstwahrnehmung der Kultur-Metropole Berlin“, wie Kultursenator Flierl (PDS) gestern kritische anmerkte, zeigt sich die Realität der kulturellen Vielfalt aus dem Blickwinkel der Akteure nicht so rosig.

Die über 400.000 Migranten und Migrantinnen in der Stadt partizipieren nur in geringem Anteil am Kulturleben Berlins wie auch am kulturellen Leben der eigenen Volksgruppen. Es fehlt an Spielstätten, wirklicher Akzeptanz, einem „interkulturellen Referat“ beim Senat und Möglichkeiten zur Vernetzung der Mulitkulti-Kultur. Das „Markenzeichen“ der Stadt, nämlich die Vielfalt der europäischen, afrikanischen oder lateinamerikanischen Künstler und Institutionen, müsse mehr Beachtung finden, sagte Giyasettin Sayan (PDS). Rot-Rot habe der interkulturellen Kulturarbeit zwar einen großen Stellenwert gegeben. Doch „ohne die Förderung dieser Kulturen wird es auch keine befriedigende Integration geben“, warnte er.

Natürlich mangelt es am Geld: Gerade mal 343.000 Euro stellt das Land den Multikulti-Gruppen derzeit zur Verfügung. Anfang der 90er-Jahre waren es noch 1,5 Millionen Mark. Bei der Projektförderung werden die Gruppen nicht ausreichend berücksichtigt. Zudem besteht ein Ungleichgewicht bei der Verteilung von Geldern. Über 60 Prozent der Mittel fließen in das Kulturprojekt Tiyatrom, wie die Kulturarbeiterin Sevim Türkoglen anmerkte, 80 andere Antragsteller müssen sich den Rest teilen. Flierl will das nun ändern, indem er den Beirat im Tiyatrom umbesetzen möchte, um anderen „mehr Spielraum“ zu geben.

Mehr Spielraum erhalten und damit mehr Öffentlichkeit erreichen, das ist das eigentliche Problem der Gruppen, wie die acht Vertreter gestern sagten. Abgesehen von den großen Events „bleiben wir geschlossene Gesellschaften“, betonte die deutsch-mexikanische Schauspielerin Darinka Ezeta. Der kulturelle Showroom Berlin entspreche nicht dem einer „wirklichen Weltstadt“ wie Paris oder New York mit offenen, nationenübergreifenden Konzepten.

Unterstützung erhielt Ezeta von dem afrikanischen Medienexperten Moctar Kamera. „Die Kultur liegt ausschließlich in den Händen von Nichtafrikanern“, obwohl der Kontinent seit Jahren mit Musik- und Theateraufführungen „in Berlin präsent ist“. Für Kamera ist neben der finanziell besseren Ausstatttung der Migrantenprojekte noch etwas anderes wichtig: nämlich die „Wahrnehmung einer großen Kultur“, die dem Image einer Metropole zugute komme, sei es in Bezug auf Integration, das Zusammenleben oder den Wirtschaftsstandort Berlin.

Es war das erste Mal, dass Migranten im Abgeordnetenhaus die interkulturelle Arbeit und deren Perspektiven thematisierten: Für die Abgeordneten – bis auf einen – eine Lehrstunde „unverzichtbarer“ Kultur (Flierl).